Vom Werden und Sein des „Platz der alten Synagoge“ in Freiburg
Janika Kuge
Seit 1996 heißt der zweitgrößte öffentliche Platz in Freiburg „Platz der alten Synagoge“. Zwischen historisch-ehrwürdigen Unigebäuden und dem Stadttheater liegt der beliebte und absolut zentrale Platz der Stadt. Wie der Name schon sagt, stand hier früher eine Synagoge, die während der Novemberpogrome 1938 von Freiburger:innen zerstört und verbrannt wurde. Aufgrund seiner Geschichte, seiner Lage und der heutigen Infrastruktur finden auf dem Platz immer wieder Aushandlungsprozesse um Nutzung(en) zwischen Vergnügen, Kunst, Politik und Gedenken statt.
Während andere Gebäude nach dem Krieg wieder originalgetreu rekonstruiert wurden, blieb die Synagoge in Trümmern. Über die Trümmer und die alte Grundfläche wuchs Gras. Im wahrsten Sinne des Wortes war nach einer Phase der Nutzung als Parkplatz, an diese Stelle eine durch eine Mauer abgesetzte große Rasenfläche gerückt, die nunmehr den Eingangsbereich des angrenzenden Unigebäudes zierte, mit einigen Bäumen (riesige Platanen), Kunstobjekten und Statuen aus dem Fundus der Stadt versehen. Ein juristischer Vergleich zwischen der Stadt und der jüdischen Gemeinde (ehemalige Hauptnutzerin des Platzes) hatte lediglich vorgesehen, dass der Platz nicht für Tätigkeiten genutzt werden sollte, die eine „Profanierung“ des Ortes zur Folge hätte. In den 60er Jahren war eine Gedenkplatte angebracht worden, die vage vor bösen Menschen warnt, welche die Synagoge zerstört haben. Jährlich am 8. November gedachte die Freiburger jüdische Gemeinde der Shoah an dieser Platte. Was der Ort einmal war, blieb nur in Spuren erkennbar.
1996 bekam der Platz seinen heutigen Namen. Wenig genutzt, weil die Wiese oft matschig war, beschloss die Stadt 2004, der Platz möge grundlegend umgestaltet und zum zweitgrößten öffentlichen Platz der Stadt werden. Die Umgestaltung wurde als Projekt öffentlich ausgeschrieben. Schnell stand ein Gewinnerentwurf fest: Einebnung auf eine Ebene, schöne weiße Bodenplatten, kein Matsch, sondern Übersichtlichkeit, Sitzecken aus Holz statt Bäume und irgendwas mit einem Wasserspiel.
Der Entwurf stieß auf einige Skepsis: Werden die weißen Steine nicht schmuddelig? Wird ein so leerer Platz nicht öde? Heizt sich eine heiße Fläche nicht sehr schnell auf? Wer will sich auf so einer leeren Fläche aufhalten? Solche schönen alten Bäume fällen? Stand hier nicht mal eine Synagoge? Proteste, Diskussionsveranstaltungen und öffentliche Gemeinderatssitzungen wurden zu Gelegenheiten sich einzumischen. Und die Stadt hörte zu: Keine Bäume sollten gefällt werden, mehr Sitzecken als ursprünglich vorgesehen sollten entstehen und da ist ja auch noch das Wasserspiel (ein Springbrunnen!). Außerdem sollte der Platz für tolle Veranstaltungen umsonst und draußen genutzt werden können, auch Demos und Versammlungen hätten endlich einen großen Versammlungsplatz ohne nahe Anwohner:innen, die vom Lärm schnell genervt sein könnten. Die jüdische Gemeinde merkte an, dass bei den Bauarbeiten Trümmer der alten Synagoge gefunden werden würden. Die Stadt hatte bereits eingewilligt, dass der Platz auch ein Gedenkort werden sollte – die Trümmer wurden trotzdem abtransportiert. Was der neue Platz werden sollte, entwickelte sich entlang ganz verschiedener Nutzungsansprüche und Vorstellungen. Und so begann schließlich die Umgestaltung, die in einen Platz münden sollte, der für die Stadt und deren Öffentlichkeit eine Art eierlegende Wollmilchsau werden sollte: am besten gleichzeitig zentraler Versammlungsort, Veranstaltungsort, Freizeitort, Gedenkort, repräsentativer Vorplatz der Uni und des Theaters mit Fußgängerzone, durch die auch die neue Straßenbahnlinie verlaufen kann.
„Bierkästen wurden im Brunnen gekühlt, Hunde tranken dort, Leute kneippten und Kinder badeten.“
An seiner Eröffnung am 2. August 2017 standen auf dem Platz: Erstens, ein kniehoher Brunnen in Form des Grundrisses der alten Synagoge, in den die Gedenkplatte über die bösen Menschen eingelassen wurde, sodass die eh schon vage Inschrift vollends unlesbar wurde. Zweitens, Sitzecken aus Holz um die Platanen herum. Die Leute nahmen den Platz im Frühsommer dankbar an: Bierkästen wurden im Brunnen gekühlt, Hunde tranken dort, Leute kneippten und Kinder badeten. Das „Gedenken“ nahm schier bizarre Formen an und weit außerhalb der jüdischer Gemeinde fingen andere an, sich zu wundern und zu beschweren. Es kam zu leidenschaftlichen und teils handgreiflichen Auseinandersetzungen auf dem Platz. Eine breite und intensive öffentliche Debatte darüber, wie man gedenkt und wie man einen Gedenkort nutzen kann, führte über den Winter zu weiteren Elementen auf dem Platz: Der Brunnen, der mit seinem Chlorwassergeruch wirklich starke Schwimmbadfeelings evozierte, wurde mit Gedenktafeln, einer Bronze-Miniatur der zerstörten Synagoge, einer Videoleinwand mit Infos und den Namen der Vertriebenen versehen. Außerdem wurde eine gut sichtbare, bronzene Linie um den Brunnen in den Boden eingelassen, die in mehreren Sprachen auffordert, zu erinnern. Die Linie grenzt den Bereich ab, der zum Gedenken genutzt werden soll. Der Gedenkort als solcher wurde sichtbarer.
Weil der Platz tatsächlich sehr beliebt und im Sommer sehr heiß war, wurde noch ein Kompromiss eingebaut. Mit großem Abstand zum Brunnen gibt es nun auch endlich ein Wasserspiel: Fontänen, die bei gutem Wetter Kinder kühlen, bespaßen und dafür sorgen, dass der Synagogenbrunnen weitgehend badefrei bleibt. Es gibt Trinkbrunnen, es gibt schattige Sitzgelegenheiten, die teilweise etwas abgelegen und doch nicht so einsehbar sind, somit auch für die Straßenpunkszene taugen. Abends wird auf dem Platz gern gefeiert (was während der Pandemie wirklich frenetische Ausmaße angenommen hatte, sich danach aber auf ein für die Kontrollinstitutionen wohl verträgliches Maß einpendelte). Damit die Platten schön weiß bleiben, fährt am nächsten Morgen ein eigens angeschafftes, sauteures Fliesenreinigungsgerät drüber. Demos und Kundgebungen finden hier sehr häufig statt. Umsonst-und-draußen-Konzerte, Jobmessen, Ausstellungen, Klimacamps und weiteres finden hier auch statt, manchmal sogar überschneidend. Was jetzt noch fehlt: eine öffentliche, kostenlose Toilette. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Aber das Ausmaß an Harmonie der verschiedenen Nutzungen nebeneinander ist schon beeindruckend. Und vor allem der Prozess dahinter. Die nahezu eierlegende Wollmilchsau wurde und wird immer weiter gestaltet. Durch Kompromisse und Debatte statt Verbote. Durch künstlerische Interventionen statt Zäune.
Der Platz ist nicht perfekt. An anderen Stellen kracht es und funktioniert gar nicht: Der Stühlinger Kirchplatz ist als Gefahrenort verschrien, rassistische Kontrollen sind quasi an der Tagesordnung. Freiburg hat mit die höchsten Mieten des Landes. Raummangel, Verdrängung und Gentrifizierung sind ein Problem in der Stadt. Aber der Platz der alten Synagoge ist für mich eine Erinnerung daran, dass es prinzipiell möglich ist, verschiedene Nutzformen nebeneinander zuzulassen. Gutes und durchdachtes Urban Design kann gelingen, wenn es im Dialog mit den Nutzer:innen entwickelt und immer wieder weitergedacht wird.
Autorin
Janika Kuge ist Teil der Común Redaktion und lebt in Freiburg
Titelbild
Freigabe des umgebauten „Platz der Alten Synagoge“ in Freiburg im August 2017.