Kunst und Bewegung

Eine persönliche Reflexion über das Verhältnis von Kunst und Aktivismus

Jakob Wirth

Mit Anfang 20 wurde ich in der Recht-auf-Stadt-Bewegung politisiert. Mich beschäftigte die Frage, wie sich mit künstlerischen Mitteln, anderen ästhetischen Formen und Aktionen neue Öffentlichkeiten erreichen ließen und was Kunst dabei für eine Rolle spielen kann politische Kämpfe zu unterstützen. Die Beschäftigung mit diesen Fragen öffnete mir den Weg in die Kunst.

Am Anfang passte die Verbindung von Kunst und Aktivismus gut zusammen. Je „professioneller“ ich als Künstler:in arbeitete, desto mehr bemerkte ich jedoch, dass sich die Differenzen zwischen der Eigenlogik beider Felder immer schwerer überbrücken ließen. Zugleich ließ sich mein Engagement in beiden Szenen schwer voneinander trennen, da ich von Beginn an an der Schnittstelle von Aktivismus und Kunst zu den Themen der Recht-auf-Stadt-Bewegung arbeitete. Diese paradoxe Situation möchte ich als Ausgangspunkt nehmen, um über das Verhältnis von Kunst und Aktivismus zu reflektieren und darüber, welches politische Potenzial darin liegen könnte, diesen Widerspruch nicht zu leugnen, sondern zu akzeptieren und vielleicht sogar zu unterstreichen.

Zwei verschiedene Szenen

Die Kunstszene und die Recht-auf-Stadt-Bewegung folgen verschiedenen Logiken. Sie operieren nach unterschiedlichen Prinzipien, deren Differenzen sich in den Aspekten sowohl der finanziellen als auch der inhaltlichen (Un-)Abhängigkeit, der Frage nach der Autor:innenschaft, der Verfügbarkeit von Ressourcen und Resilienzen und in unterschiedlichen Zielsetzungen zeigen.

Die Bewegung hat eine große Freiheit in der Art und Weise, wie Protest organisiert und gestaltet wird. Es besteht gleichzeitig eine starke Bindung an gemeinsame Ziele und Positionen, sodass besonders eine inhaltliche Übereinstimmung entscheidend für die Zugehörigkeit zur Bewegung ist.

Das künstlerische Arbeiten hingegen genießt zwar inhaltliche Unabhängigkeit, ist jedoch zumeist abhängig von Faktoren wie Finanzierung und Anerkennung, die wiederum eine Voraussetzung für ihre finanziellen Ressourcen sowie ihre Anbindung an eine Szene darstellt. Besonders aus der finanziellen Abhängigkeit beziehungsweise aus der Unabhängigkeit beider Szenen, der Unterscheidung zwischen ideellem Engagement und Lohnarbeit ergeben sich entscheidende Unterschiede für die eigene Praxis.

Aufgrund der prekären Bezahlung sowie auch der Erwartung „Vollzeit-Künstler:in“ zu sein, müssen Künstler:innen oft in „Vollzeit“ arbeiten, um wirtschaftlich überleben zu können. Sie sind finanziell abhängig von der Kunstproduktion und können es sich kaum leisten, unentgeltlich zu arbeiten, obwohl es paradoxerweise gleichzeitig ihrer Normalität entspricht. Dem gegenüber steht ein in der Regel unentgeltliches Engagement in der Bewegung. Hier zählt das Engagement für die Sache, nicht die finanzielle Entlohnung.

Diese Differenz begründet auch eine unterschiedliche Haltung beider Szenen zur Autor:innenschaft. In der Kunst spielt die Autor:innenschaft eine zentrale Rolle. Sie ist mit der Anerkennung und damit dem ökonomischen Wert der eigenen Arbeit verbunden. Auch wenn das Konzept der „Künstler:innenpersönlichkeit“ innerhalb der Kunstszene kritisch hinterfragt wird, bleibt es für Künstler*innen oft unverzichtbar, die eigene Autor:innenschaft an einer Idee, einem Werk zu kennzeichnen, um für Anfragen und Aufträge und die damit verbundenen Einnahmen zur ökonomischen Absicherung namentlich adressierbar zu sein.

In der Bewegung hingegen spielt Autor:innenschaft keine Rolle, da es im Idealfall um kollektives, basisdemokratisches Arbeiten in Gruppen, Initiativen und Bündnissen geht. Es geht nicht um Distinktionsgewinn und die Arbeit an einer individuellen Biographie. Diese unterschiedliche Haltung zur Autor:innenschaft erschwert eine Zusammenarbeit, da der Verzicht auf individuelle Anerkennung in der Bewegung als Prinzip gilt, die Aufgabe von Autor:innenschaft in der Kunst jedoch oft mit finanziellen Problemen einhergeht.

Anders als in Bewegungen, geht es weniger um Moral, (…) als vielmehr um Kontingenz, um das Aufzeigen von Möglichkeiten.

Ein weiterer Unterschied zwischen Künstler:innen und Bewegungen besteht hinsichtlich ihrer Ressourcen und ihrer Resilienz. So arbeiten Künstler:innen oft allein oder in kleineren Gruppen, was ihre Kapazitäten stark einschränkt und Projekte aufgrund der Abhängigkeit von einer Einzelperson anfälliger gegenüber persönlichen oder ökonomischen Einschnitten macht. Bewegungen hingegen sind breiter aufgestellt und weniger abhängig von Einzelnen. Sie bestehen oft über mehrere Generationen hinweg, was im Gegensatz zu den oft punktuellen Interventionen von Künstler:innen eine kontinuierlichere und nachhaltigere Arbeit ermöglicht. Das Erfahrungswissen von Bewegungen erlaubt es ihnen, Strategien im Umgang mit Repression und Krisen zu entwickeln, die Einzelpersonen in der Kunst oft fehlen. Diese kollektive Stärke ermöglicht es Bewegungen, sich immer wieder neu zu organisieren und aktiv zu bleiben.

Im Zusammenhang mit diesen unterschiedlichen Bedingungen und Selbstverständnissen steht auch eine differente Zielsetzung: Bewegungen und politisch verstandene Kunst wollen Gesellschaft verändern. Doch wie sie versuchen, diese Veränderung anzustoßen, unterscheidet sich. Bewegungen verfolgen konkrete politische Ziele, eine Veränderung des Status quo durch direkte Aktionen, Kampagnen und Proteste. Sie arbeiten im Konkreten, während politische Kunst auf der Ebene des Imaginativen arbeitet. Anstatt direkt in die Realität einzugreifen, strebt Kunst danach, neue Perspektiven aufzuzeigen, Gedankenwelten zu erweitern und Alternativen denkbar werden zu lassen. Anders als in Bewegungen geht es weniger um Moral, um die klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen wünschenswert oder verwerflich, als vielmehr um Kontingenz, um das Aufzeigen von Möglichkeiten.

Diese Unterschiede in der Zielsetzung führen oft zu Spannungen, bieten aber auch die Chance, sich gegenseitig zu ergänzen und die jeweiligen Stärken beider Seiten zu nutzen, um gemeinsame Strategien zu entwickeln. Vor diesem Hintergrund möchte ich ein Beispiel aus meiner eigenen Praxis vorstellen, an dem sich zeigt, dass trotz oder gerade wegen der Differenzen beider Praktiken eine bereichernde Zusammenarbeit gelingen kann.

Das »Penthaus à la Parasit«

Das »Penthaus à la Parasit«. Die spiegelnde Metallverkeidung dient als Camouflage. | Foto: © Penthaus àla Parasit, Jakob Wirth

Eines der ersten größeren Kunstprojekte, die ich als Künstler:in realisierte, war das »Penthaus à la Parasit«, bei dem es um die Frage der symbolischen, aber eben auch realen Rückeroberung der Stadt ging – jedoch von oben. Unter #aneignungvonoben erklomm das Penthaus ungefragt unterschiedliche Dächer – also Orte, die eigentlich dem gesellschaftlichen Oben zugeordnet werden. Dabei ging es nicht nur um eine künstlerische Skulptur, die wie eine Drop Sculpture plötzlich auf Dächern auftauchte, sondern die Kunstaktion erzeugte ganz unterschiedliche Ebenen der Wirkung und Wahrnehmung.

Zunächst war das Penthaus zu Beginn zwei Monate lang mein eigener Wohnraum auf dem Dach. Danach wurde es konzeptionell geöffnet und im Rahmen eines Losverfahrens öffentlich zur Übernachtung angeboten. Über eine Zeitraum von zwei Wochen schlief jede Nacht eine andere Person im Penthaus und genoss das „Privileg des Oben-Seins“.

Ein weiterer Aspekt war schließlich die Bespielung von Immoscout 24 – das Penthaus wurde dort zum üblichen Marktpreis von 9.900 €/m2 zum Verkauf angeboten, jedoch ohne den Privatbesitz am Grund und Boden. Es fanden Führungen mit Interessierten statt, die sich auf Immoscout 24 für die Besichtigung der „(Im)Mobilie“ gemeldet hatten. Es gab über 200 Anfragen in den ersten Tagen. Immoscout wurde zu einer Kommunikationsplattform rund um die Fragen von Gentrifizierung, Eigentumserwerb und dessen Auswirkung auf die Mietpreise. Menschen, die auf der Suche nach Privateigentum waren, kamen plötzlich in Kontakt mit den Themen der Recht-auf-Stadt-Bewegung. Über 50 Zeitungen, Radios und TV-Sendungen berichteten über das Projekt.

Das Projekt »Penthaus à la Parasit« kann als Beispiel dafür dienen, wie sich Fragen von Verdrängung, Klasse und Privatisierung von Raum in einer künstlerischen Aktion kommunizieren lassen. Zugleich wurde durch die Übernachtungen und Führungen ein realer Erfahrungsraum geschaffen, der provokativ nach einem Recht auf Stadt fragte.

„Immobilien-Führung“ mit interessierten Käufer:innen in München. | Foto: © Penthaus àla Parasit, Lambert Strehlke

Potenziale und Herausforderungen

Koordinierte Aktionen, bei denen Kunstprojekte mit Demonstrationen oder politischen Forderungen synchronisiert werden, können dazu beitragen, Themen in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Künstlerische Projekte können mit ihrer Bildsprache Aktivismus bereichern oder ihm eine Bühne verschaffen. Für mich als Künstler:in stellt sich die Frage, wie die Inhalte und die Praxis der Recht-auf-Stadt-Bewegung mit einer künstlerischen Praxis sinnvoll verbunden werden können, ohne dass sie ihre jeweilige Eigenständigkeit aufgeben. Die Herausforderung besteht darin, funktionierende Kollaborationen zu entwickeln, bei denen die jeweiligen Sphären und deren Eigenständigkeit berücksichtigt werden.

Die Potenziale für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen politischer Kunst und der Recht-auf-Stadt-Bewegung liegen nicht darin, ihre unterschiedlichen Formen, Ästhetiken, Sprachen und Ziele zwanghaft zu vereinen. Stattdessen kann eine gegenseitige Anerkennung der unterschiedlichen Logiken und Arbeitsweisen beider Seiten Vertrauen stiften und gemeinsames Arbeiten zulassen. Wenn es gelingt, diese Unterschiede nicht nur zu respektieren, sondern auch wertzuschätzen, können daraus konkrete politische Ideen und Strategien entstehen und beide Praxen voneinander profitieren.


Autor:in

Jakob Wirth ist Künstler:in und Aktivist:in und lebt in Berlin.


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Collektive: make-up.space


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