Lassen sich Mieten- und Klimakämpfe verbinden?
Lisa Wagner und Leonie Hanewinkel
Dampfende Wasserfontänen sprudeln in der Siedlung Rixdorfer Straße in Berlin-Mariendorf aus dem schneebedeckten Rasen. Die Heizung fällt hier seit Jahren regelmäßig in den kältesten Wochen des Jahres aus und statt die Wohnungen der rund 600 Haushalte zu beheizen, kommt das Wasser an überraschenden Orten in der Siedlung zutage. Die Nachbar:innen nehmen es mit Galgenhumor und tauschen im Whatsapp-Chat Tipps zum Umgang mit dem Vermieter Deutsche Wohnen aus. Manche bekommen vom Unternehmen elektrische Heizkörper gestellt, andere werden selbst tätig und besorgen sich Heizstrahler. Andere frieren einfach, denn es ist nicht leicht, mit dem Vermieter in Kontakt zu treten.
Es ist Anfang 2024, kurz nach Jahreswechsel. Der Preis für eine Kilowattstunde Gas hat sich an der Börse auf 30 Euro eingependelt. Zu Hochzeiten, in 2022, waren es um die 40 Euro. Die Belastung, die dadurch bei den End-Verbraucher:innen entsteht, versucht die Bundesregierung im Jahr 2023 mit Gaspreisbremsen und anderen Maßnahmen abzufedern. Für das Folgejahr, also 2024, soll es solche Deckelungen aber nicht mehr geben.
Der Wohnungskonzern Vonovia ist bekannt dafür, alle Mietsteigerungspotentiale auszuschöpfen und an der Instandhaltung zu sparen. Doch weil auch diese Spielräume immer enger werden, wurde ein neuer Weg gefunden, um Mieter:innen zur Kasse zu bitten: die Heizkostenabrechnung.
Heizkosten als zweite Miete
„Ich sollte mehrere hundert Euro nachzahlen, ich dachte ich spinne“, sagt Sebahat, Mieterin in einer Siedlung in Berlin Mariendorf. Das ist so noch nie vorgekommen. Der Grund für die eklatante Erhöhung der Heizkosten? Das sogenannte „Contracting“. Vonovia hat die marode Heizungsanlage an den Betreiber Getec übergeben. Eine Firma, die zu 49 Prozent der Vonovia gehört. Der Gaspreis wird nun von Getec nach einer komplizierten Formel abgerechnet, die den Börsenpreis, nicht den Einkaufspreis als Grundlage der Berechnung nimmt. Vonovia erhält die Rechnung und reicht diese an die Mieter:innen weiter. Außerdem dürfen die Preise beim contracting „gleiten“ – also wenn die Börsenpreise schon längst wieder gesunken sind, können sie trotzdem in der Rechnung auftauchen. Die Formeln sind selbst für erfahrene Rechtsanwält:innen unverständlich. Deswegen suchen wir nach Mathematiker:innen, die sich mit dem Fall beschäftigen wollen. Falls sich diese in der Leser:innenschaft befinden, sollen sie sich bitte bei uns melden.
In ganz Deutschland sind durch diese „Contracting“ absurde Heizkostenabrechnungen entstanden. In Göttingen sind Fälle von bis zu 10.000 Euro Nachzahlung nach der Heizkostenabrechnung bekannt, ebenfalls in Bottrop, Stuttgart und weiteren Städten. Es geht teils um horrende Summen. Doch durch beherztes Eingreifen organisierter Mieter:innen und Stadtteil-Initiativen haben sich hunderte Haushalte in ganz Deutschland zum Heizkostenstreik entschieden. Im September 2024 sind es allein in Mariendorf knapp 400 Haushalte. „Heizkostenstreik“ bedeutet in diesem Fall einfach, Gebrauch vom völlig legalen Zurückbehaltungsrecht zu machen. Der Vermieter ist in der Beweispflicht und solange Vonovia nicht alle Rechnungen, Zahlungsnachweise und Verträge vorlegt, können die Mieter:innen die Nachzahlung verweigern und müssen den Abschlag auch nicht nach oben korrigieren. Das ist für einige Mieter:innen überlebenswichtig, andere Mieter:innen müssen so nicht auf den Urlaub verzichten.
Für den angeschlagenen Konzern Vonovia, der nach dem teuren Kauf der Deutsche Wohnen und gestiegenen Zinsen dringend Geld braucht, um seine Gläubiger weiter bedienen zu können, entsteht durch den Heizkostenstreik eine reale Lücke an Einnahmen. Zudem kommt er kaum mit den Neuberechnungen der Abschläge hinterher. Die Vermutung liegt nahe, dass nach der Übernahme der Deutsche Wohnen einiges an Fachpersonal „umgeschichtet“ bzw. entlassen wurde.
Heizen mit Gas: unberechenbare Kostenfalle
„Ich bin nicht bereit völlig überzogene Heizkosten zu zahlen, solange meine Wohnung komplett ungedämmt ist“, sagt Ruth, eine alleinerziehende Mutter aus der Siedlung. Der Heizkosten-Schock hat wieder gezeigt, wie unzuverlässig und teuer das Heizen mit Gas ist, zumal die ganze Siedlung energetisch nicht modernisiert ist. Hier heizen die Leute buchstäblich zum Fenster raus. In den eigentlich schönen Wohnungen mit großen Fenstern ist jeden Morgen Feuchtigkeit an den Scheiben, in Erdgeschosswohnungen wächst der Schimmel. (Berliner Zeitung, 02.12.2023)
In Deutschland entstehen 30 Prozent der Emissionen in Gebäuden, so viel wie im Verkehrssektor. Dies kommt vor allem durch den niedrigen Dämmstandard zustande, da viel Heizwärme durch die Fenster und Fassaden entweicht und Mieter:innen so gezwungen sind, mehr zu heizen.
Die Wärmewende: Endlich nachhaltig heizen?
Die beschriebenen Missstände sollen sich mit der sogenannten „Wärmewende“ ändern. Dieses Großprojekt der Bundesregierung sieht vor, die Wärmeversorgung komplett nachhaltig zu machen. Das bedeutet: Keine Verbrennung von fossilen Brennstoffen mehr, Anschluss von möglichst vielen Siedlungen an die Fernwärme, alle Gebäude, die es nötig haben, von außen und innen dämmen, kalte Nahwärmenetze für ganze Quartiere bauen. Die riesige Infrastrukturmaßnahme soll in den nächsten Jahrzehnten umgesetzt werden – die Planung dafür sollen Großstädte schon bis 2026, alle anderen Kommunen bis 2028 vorlegen.
Keine leichte Aufgabe, für die es vor allem an Personal mangelt. Kommunen sollen im ersten Schritt ein Kataster anlegen, um herauszufinden, welchen Energiestandard die Gebäude in ihrem Gebiet eigentlich haben. Danach müssen Pläne gemacht werden, wo Wärmepumpen installiert werden können, welche Gebäude Fernwärme bekommen müssen, wo Nahwärmenetze errichtet werden sollen und wie die ganze Wärmeerzeugung eigentlich dekarbonisiert werden kann. Der komplette Umbau unserer Wärmeversorgung und Quartiere ist notwendig und es ist gut, dass das jetzt endlich in Gesetzesform gegossen wurde.
Wer soll für die grüne Transformation zahlen?
Die Gas-Lobby hat es geschafft, ihre Tätigkeiten und ihre fossile Infrastruktur im öffentlichen Diskurs als unverzichtbar darzustellen und ins von der Bundesregierung beschlossene GEG („Heizungsgesetz“) einzubauen. Deswegen dürfen laut Heizungsgesetz jetzt auch weiterhin Gasheizungen eingebaut werden, solange sie „H2-ready“ sind, also irgendwann grünen Wasserstoff verbrennen können. Die Wissenschaft jedoch ist sich einig: grüner Wasserstoff wird für die Wärmeversorgung nicht zur Verfügung stehen. Er wird für Industrieprozesse gebraucht, die nicht ohne hohe Temperaturen auskommen. Außerdem wird er für das Beheizen von Wohnungen viel zu teuer und ineffizient sein. Für die Erzeugung von grünem Wasserstoff wird vier bis fünf Mal so viel Strom benötigt wie für den Betrieb einer Luft-Wärmepumpe. Auch Heizen mit Gas wird mit steigendem CO²-Preis und der Eingliederung von Wärme in den EU-Emissionshandel immer teurer werden. Die Rechnung für die sinnlosen Maßnahmen zahlen dann allein die Verbraucher:innen und Mieter:innen, die in unsanierten Wohnungen mit fossilen Heizungen festsitzen.
Comeback der Modernisierungs-Umlage
Auch bei der dringend benötigten energetischen Sanierung sieht es nicht gut aus. Die Bundesregierung macht keinerlei Anstalten die Modernisierungsumlage (§ 559 BGB) endlich anzugehen, obwohl Mietervereine und Umweltverbände schon seit Jahren darlegen, wie irrsinnig und kontraproduktiv dieses Instrument ist. Es handelt sich dabei um ein marktbasiertes Anreiz-Instrument, mit dem Vermieter:innen motiviert werden sollen, ihre Bestände zu sanieren. Dabei entpuppt es sich eher als ein praktisches Anreiztool, um als Vermieter lästige Altmietverträge loszuwerden und die Miete auf lange Zeit zu steigern. Die ein oder andere Instandhaltungsmaßnahme wird dann auch noch schnell rechtswidrig als Modernisierung verkauft und auf die Mieter:innen umgelegt, die das oft nicht bemerken. Seit 2019 können nur noch 8 Prozent statt 11 Prozent der Modernisierungssumme jährlich auf die Miete umgelegt werden und in den ersten sechs Jahren sind die Mietsteigerungen auf 2 bzw. 3 Euro gekappt. Diese Senkung war eigentlich als Maßnahme zum Mieter:innenschutz gedacht. Die Konsequenz sind fallende Sanierungsraten! Die Auswertung zeigt: Viele Vermieter:innen sind nur dann „motiviert“, sich für Klimaschutz zu engagieren, wenn sie damit Profit auf Kosten der Mieter:innen machen können. Ein Hinweis, dass ein Anreiz-System möglicherweise nicht die beste Lösung für Klimaschutz in vermieteten Wohnungen ist.
Klima- und Mietenkämpfe werden praktisch gegeneinander ausgespielt
Die Strategie der letzten Regierungen für den klimagerechten Umbau des Wohnens lässt sich also wie folgt zusammenfassen. Private Vermieter:innen, Energieversorger:innen und Netzbetreiber:innen sollen durch Anreize motiviert werden, Investitionen in den Klimaschutz zu tätigen. Die Anreize bestehen darin, dass die Kosten auf Mieter:innen umgelegt werden können und damit auch noch Profite gemacht werden können. Mieter:innen haben in diesem Modell keinerlei Mitspracherecht über die Art der Wärmeversorgung oder den Dämm-Standard ihres Wohngebäudes und sind damit von der Entscheidung der Vermieter:innen abhängig. Die Politik schafft somit institutionalisierte Zielkonflikte, die am Ende vor allem den Effekt haben, die ökologische Transformation zu diskreditieren und das Geschäftsmodell der fossilen Konzerne zu erhalten. Die Wärmewende zu politisieren bedeutet, dass diese Zusammenhänge im öffentlichen Diskurs klar werden müssen und dass wir als Mietenbewegung mit der Klimabewegung unsere Kräfte bündeln und verhindern müssen, dass unsere Anliegen gegeneinander ausgespielt werden.
Und jetzt? Perspektive für Bewegungen
Es gilt vor allem, als Bewegung die Leerstelle im Konfliktfeld Klima-Wohnen-Heizen zu füllen. Weder in der Mieten- noch in der Klimabewegung gab es in den letzten Jahren viel Auseinandersetzung mit der Wärmewende, weswegen wir dem Heizhammer-Desaster des letzten Jahres sprech- und handlungsunfähig gegenüberstanden. Projekte wie „Wir fahren zusammen“ haben aber gezeigt, wie sich Anliegen von Betroffenen mit progressiver Klima-Politik verbinden lassen. Wir glauben, dass sich das Feld Mieten ebenso dafür eignet, denn hier lässt sich die Eigentumsfrage in den Mittelpunkt stellen – entlang dem Bedürfnis nach ökologischen und bezahlbarem Heizen der Mieter:innen. Erste erfolgreiche Zusammenarbeiten mit der Klimabewegung gab es auch schon im Sommer zur Mietenwahnsinn-Demo in Berlin, wo Gruppen wie Letzte Generation und Extinction Rebellion die Abschaffung der Modernisierungsumlage forderten und aus dem Stand mehrere hundert Menschen zum Klima-Block dazu stießen. So düster sieht es also gar nicht aus.
Konkrete Projekte der sozialen Wärmewende – wie ihr mitmachen könnt
Der Heizkostenstreik in Mariendorf war zudem kein Zufall. Die Mieter:innen-Initiative ist Teil des bundesweiten VoNO!via-Netzwerkes, in dem sich betroffene Mieter:innen austauschen und vernetzen, um sich gegen die Abzocke durch das Contracting-Modell zu wehren. Die Abwehrkämpfe gegen hohe Heizkosten können also geplant werden. Für interessierte Mieter:innen-Gruppen und Klima-Aktive bieten wir deswegen Schulungen an, damit auch ihr vor Ort bei euch den Kampf gegen hohe Heizkosten umsetzen könnt. Aber auch die Vorbereitung auf die kommenden medialen Diskussionen kann ein Einstieg ins Thema darstellen. Dafür läuft unser Interview-Projekt zwischen November und Februar, in dem wir deutschlandweit verbindende Botschaften zu Mieten und Klima an den Haustüren testen. Um am Projekt teilzunehmen, schreibt uns eine Mail oder über den Instagram-Account. Bisher teilnehmende Städte sind Leipzig, Berlin, Köln, Hamburg, Weimar, Jena, München, Frankfurt und Ulm. Wir stellen gerne Kontakt her.
In Berlin-Mariendorf jedenfalls hat sich die Arbeit der Aktiven gelohnt. Derzeit halten mehrere hundert Haushalte die Nachforderungen zurück, die Mitglieder unterstützen sich dabei, falsche Mieterhöhungen abzuwehren und gemeinsam bereiten sie sich auf die nächste Runde Heizkostenabrechnungen vor. Der in linken Kreisen viel beschworene „heiße Herbst“ ist hier mit etwas Verspätung eingekehrt – dafür umso hitziger.
Autorinnen
Lisa Wagner und Leonie Hanewinkel sind bei Soziale Wärmewende aktiv.
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Die Kampagne Soziale Wärmewende
Website: soziale-waermewende-jetzt.de
Instagram: @sozialewaermewende