Das Tuntenhaus ist gerettet – eine Erfolgsstory inmitten der Berliner Wohnungskrise
Amanda Edge
Das Tuntenhaus wurde im Februar 2024 verkauft. Als wir, die Bewohner:innen des Tuntenhauses / K86 in Berlin-Prenzlauer Berg, diese Nachricht erhielten, waren wir erst einmal geschockt. Uns drohte Verdrängung durch teure Sanierung und exorbitante Mieten, die sich keine:r von uns leisten können würde – das Aus für unser Wohnprojekt.
Das Tuntenhaus ist Berlins ältestes queeres Hausprojekt, eine Institution queerer Subkultur. Seit 1990 besteht unser Projekt in der Kastanienallee 86 und trägt zur sozialen und kulturellen Vielfalt in einem der teuersten Kieze Berlins bei. Das eigentliche Tuntenhaus befindet sich zwar im Hinterhaus, versteht sich jedoch als Teil des gesamten Wohnprojektes K86 mit seinen 36 Bewohner:innen. Bekannt ist der auffällige Schriftzug „Kapitalismus zerstört, normiert, tötet“ an der bröckelnden Fassade unseres Hauses, ein beliebtes Fotomotiv für Berlintourist:innen. Das Haus ist einer der letzten Freiräume, die bisher nicht von der Gentrifizierung der Kastanienallee betroffen waren. Es steht für ein rar gewordenes Berlin, das Subkultur und kollektive Hausgemeinschaften durch bezahlbaren Wohnraum überhaupt erst möglich gemacht hat. Bei uns finden queere, oft marginalisierte Menschen aus vielen Teilen der Welt einen sicheren Ort und ein Zuhause. Einmal im Monat lädt das Katerfrühstück mit einer „Küche für alle“ ein. Im Hof gibt es eine Verteilstelle für Lebensmittel. Die alljährlichen Sommer-Hoffeste sind in der queeren Subkultur weit über Berlin hinaus bekannt und ein wesentlicher Anker für die Stärkung der Community. Wie wichtig das ist, zeigt die wieder gestiegene Gewalt gegen queere Menschen.
Die Anfänge des heutigen Tuntenhauses gehen zurück auf die Hausbesetzungen nach der Wende 1990 in Berlin-Friedrichshain. Damals wurde das Tuntenhaus Forellenhof als eines der ersten Häuser in der Mainzer Straße von schwulen Männern besetzt. Unabhängig davon gab es bereits 1981–1983 das erste Berliner Tuntenhaus in der Schöneberger Bülowstraße.
Nachdem das Tuntenhaus Forellenhof im November 1990 mit 12 weiteren besetzten Häusern in der Mainzer Straße gewaltvoll geräumt wurde, besetzten einige der Bewohner:innen das damals leerstehende Haus in Prenzlauer Berg. Schon kurz darauf wurden die Wohnverhältnisse legalisiert und Mietverträge abgeschlossen. Mehrmals wurde das Gebäude verkauft. Seit 2004 gehörte es einer GbR. In der Vergangenheit wurden von Bewohner:innen einige Versuche gestartet, das Haus zu kaufen und als selbstverwaltetes Wohnprojekt zu sichern. Diese scheiterten jedoch aus verschiedenen Gründen, wie begrenzten Ressourcen bei den Bewohner:innen, Schwierigkeiten bei der Entwicklung von Finanzierungsmodellen und absurd hohen Kaufpreisforderungen des damaligen Eigentümers.
Organisierung für den Vorkauf
Ab der Nachricht vom Verkauf trafen wir uns mehrmals wöchentlich zu Hausplena, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Parallel dazu organisierte sich ein Unterstützungsnetzwerk von Freund:innen, was uns zeigte, wir sind in dieser existenziellen Bedrohung nicht allein. Wohnungspolitische Aktivist:innen und Genossenschaft standen uns zur Seite und berieten uns zu den Möglichkeiten der Rettung unseres Hauses. Zentral war auch, dass der Bezirk Pankow von Anfang an sehr engagiert sein Vorkaufsrecht geprüft hat, da unser Haus in einem Milieuschutzgebiet liegt. Bei diesem Instrument prüft der Bezirk das Recht zum Vorkauf zugunsten gemeinwohlorientierter Dritter, also einer Genossenschaft, Wohnungsbaugesellschaft oder Stiftung. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aus dem Jahre 2021 ist dieses Recht nur noch bei Häusern mit starken baulichen Missständen anwendbar. Seitdem hatte es nur der Berliner Bezirk Neukölln im November 2023 für die Weichselstr. 52 erfolgreich ausgeübt. Die Voraussetzung erheblicher baulicher Mängel war auch bei unserem Haus gegeben. Die SelbstBau e.G. erklärte sich bereit, ein erforderliches Finanzierungskonzept zu erstellen. Doch es gab noch ein großes Hindernis: Der Berliner Senat müsste dem Finanzierungskonzept der Genossenschaft zustimmen und Fördermittel wie Kredite für den Ankauf und für die nachholende bauliche Instandsetzung zur Verfügung stellen. Es bestand eine beachtliche Finanzierungslücke, die es zu schließen galt. Außerdem blieb nur wenig Zeit: Das Vorkaufsrecht kann vom Bezirk nur innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Datum der Unterzeichnung des Kaufvertrages angewendet werden.
Es war also in sehr kurzer Zeit sehr viel zu tun. Wir mussten uns organisieren, der bezirklichen Verwaltung zuarbeiten und mehrere Begehungen ermöglichen. Es galt, politischen Druck zu erzeugen, um den Berliner Senat dazu zu bewegen, sich für eine Lösung einzusetzen und das Problem nicht einfach auszusitzen. Eine gute Kommunikationsstrategie musste entwickelt werden. Dabei wurden wir von Aktivist:innen anderer erfolgreich gesicherter Wohnprojekte zu Öffentlichkeits- und Pressearbeit etc. beraten. Eine Gruppe von Bewohner:innen nahm Kontakte zu Politiker:innen und Presse auf und lud zu Gesprächen ein. Wir vernetzten uns mit mietenpolitischen Initiativen vor Ort.
„Showdown Tuntenhaus“
Mit Hilfe von Freund:innen und Allies wurde die Kampagne „Tuntenhaus bleibt! – Queere Räume retten – Verdrängung stoppen“ aus dem Boden gestampft und ein Spendenaufruf gestartet. Über die Webseite der K86, Instagram, Telegram, eine Petition auf change.org etc. konnte schnell eine große Öffentlichkeit und Unterstützung für den Erhalt des Hauses gewonnen werden. Im eigens produzierten Kampagnen-Video „Showdown Tuntenhaus“ wird in Tuntenmanier die Bedrohung der Bewohner:innen von Verdrängung bewusst überzogen und humorvoll dargestellt. Flyer, Poster und Transparente wurden gefertigt und in der Stadt verteilt. Bald hingen bunte Transparente mit Unterstützungsaufrufen an vielen weiteren Häusern in der Kastanienallee. Ladengeschäfte des Kiezes hängten unsere Plakate in ihre Schaufenster. Die Solidarität war einfach überwältigend.
Mehrmals organisierten wir Kundgebungen frühmorgens vor dem Berliner Abgeordnetenhaus, wenn zum Beispiel der zuständige Ausschuss für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen tagte, um unserer Forderung nach einer tragfähigen Lösung zur Rettung des Tuntenhauses Gehör zu verschaffen. Eine Vielzahl von Menschen besuchten auch im strömenden Regen die Kundgebungen, was die Bedeutung der in der ganzen Stadt verankerten Tuntenhaus-Community verdeutlichte. Nach dem Motto „Charmeoffensive“ begaben sich dann Delegationen aufgedonnerter Tunten als Besucher:innen in die öffentlichen Ausschusssitzungen und kamen mit Abgeordneten der Parteien ins Gespräch über unser Anliegen.
An jedem Samstagnachmittag öffneten sich die Pforten zu unserem Innenhof für Soli-Events mit Konzerten, Performances, Malaktionen und unseren beliebten Tunten im Tortenrausch. Zu unserer Rave-Kundgebung mit Tunten-Show, die wir an einem Sonntag vor dem Haus organisierten, kamen mehrere Tausend Menschen und tanzten auf der Straße für die Rettung des Tuntenhauses. So etwas hatte die gute alte Kastanienallee seit Jahrzehnten nicht gesehen.
Schließlich kontaktierte uns auch noch der Käufer des Hauses und teilte mit, er erwäge, die Verpflichtungen einer sogenannten Abwendungsvereinbarung zu unterschreiben. Damit wäre der bezirkliche Vorkauf gescheitert und das Ende des Tuntenhauses besiegelt gewesen. Kurzerhand charterten wir einen Reisebus und fuhren nach Wörth an der Isar, dem Wohnort des Investors. Eine spektakuläre Demo aus aufwendig geschminkten Tunten in flamboyanten Fummeln – begleitet auch von einigen Wörther:innen und neuen Freund:innen aus Bayern – stöckelte durch die niederbayerische Gemeinde und stieß auf sehr positive Resonanz.
Mit geeinten Kräften: Das Tuntenhaus ist gerettet
Am Morgen des 16.05.2024 erhielten wir dann Nachricht über die finale Entscheidung: Das Tuntenhaus wird durch Vorkauf der Spekulation entzogen. Der Käufer hatte die Abwendungsvereinbarung nicht unterzeichnet. Auch der Senat stimmte der Finanzierung zu. Drei Monate Bangen und intensiver Aktivismus mit überwältigender Unterstützung von vielen Seiten hatten sich mehr als gelohnt. Gekauft wurde das Haus von der Stiftung Edith Maryon, deren Zweck es ist, Grundstücke der Spekulation zu entziehen und Liegenschaften u.a. für gemeinschaftliche Wohnprojekte zur Verfügung zu stellen. Die SelbstBau e.G. wird das Haus im Auftrag der Stiftung sanieren und nach Instandsetzung als Erbbaurechtsnehmerin übernehmen. Das Grundstück verbleibt im Eigentum der Stiftung. Gemeinsam ist es uns gelungen, eine Immobilie im Herzen Berlins dauerhaft für die gemeinwohlorientierte Wohnnutzung zu sichern. Wir Bewohner:innen freuen uns sehr, dass unser Wohn- und Kulturraum als sicherer Ort, an dem man ohne Angst Tunte sein kann, bestehen bleibt.
Dass unser Wohnprojekt gerettet werden konnte, lag an einer Reihe von Faktoren. Die Bekanntheit des Tuntenhauses mit seiner bewegenden Geschichte und deren Bedeutung für die queere Community der Stadt Berlin waren sehr hilfreich, eine breite Öffentlichkeit zu gewinnen. Die unermüdliche Bereitschaft der Bewohner:innen und der Unterstützer:innen aus unserer Community sich zu engagieren und zu vernetzen, war essentiell. Doch ohne die zuverlässige Mitwirkung der Zivilgesellschaft und der Politik, die sich für den Erhalt unseres Projekts eingesetzt haben, wäre das nicht zu schaffen gewesen.
Höchste Zeit, dass sich mietenpolitisch etwas ändert, denn es gibt noch viele Häuser zu retten. Von Verdrängung sind schließlich zahlreiche Menschen in unserer Stadt und anderswo akut betroffen. Wie sich in den Fällen des Tuntenhauses und der Weichselstr. 52 gezeigt hat, lohnt sich der Kampf, jedoch stellt sich die Frage, wo diejenigen bleiben, die nicht die von uns aufgebrachte Zeit und Kraft aufbringen können.
Autorin
Amanda Edge ist Tunte und wohnt seit vielen Jahren im Tuntenhaus / K86 in Berlin.
Fotos
Titelbild: © Britta Brugger | Bild im Text: © Tuntenhaus.