Das Buch »Stadt von Rechts. Über Brennpunkte und Ordnungsversuche«
Lucius Teidelbaum
Mit seinem 2024 im Verbrecher-Verlag erschienenen Buch »Stadt von Rechts. Über Brennpunkte und Ordnungsversuche« ermittelt Johann Braun aktuelle rechte Perspektiven auf das Thema Stadt. Es handelt sich um eine gekürzte und überarbeitete Version seiner 2022 eingereichten Dissertation. Diesen Ursprung merkt man dem Buch besonders auf den ersten 60 Seiten an, was für Nicht-Akademiker:innen und Nicht-Fachleute abschreckend wirken dürfte.
Mit einem diskursanalytischen Ansatz schaut der Autor darin 200 Hefte der rechten Zeitschriften „Volk in Bewegung“, „Umwelt & Aktiv“, „Sezession“, „CATO“, „Arcadi“, „Tichys Einblick“ und „Tumult“ an, aus denen er 346 Artikel mit Inhalten über das Thema Stadt identifiziert hat. Die rechten Blätter sind dabei sehr unterschiedlich ausgerichtet: So liegen zwischen dem rechtskonservativen „Tichys Einblick“ und dem neonazistischen „Volk in Bewegung“ ideologische Welten. Sie fallen dennoch alle ins Spektrum der politischen Rechten in Deutschland.
Rechte Perspektiven auf die Stadt als Wirkungs- und Aufmarschgebiet fanden bisher in der Forschung zu rechten Bewegungen und Ideologien nur wenig Beachtung – außer der häufiger thematisierten völkischen Stadtfeindschaft. Diese Lücke versucht der Autor mit seiner Arbeit zu schließen. Dafür stellt er auch die Ideengeschichte rechter Perspektiven auf den urbanen Raum vor. Vor allem bis zum Ersten Weltkrieg sieht er einen radikalen Antiurbanismus und Antimodernismus in der deutschen Rechten wirken, „die sich selbst in der Opposition gegen die klassische Moderne sah.“
Von einer völkischen und konservativen Stadtfeindschaft im Deutschen Kaiserreich gelangt er dabei zu Oswald Spengler und seinem zyklischen Geschichtsmodell. In „Untergang des Abendlandes“ (1918) sieht Spengler in der „Weltstadt“ das letzte Verfallsstadium einer Zivilisation. Später wird dieser negative Blick von rechts auf die Stadt abgeschwächt: In Form eines reaktionären Modernismus versuchte ein Teil der politischen Rechten technische Moderne und reaktionäre Ideale im Faschismus miteinander auszusöhnen. Der Schriftsteller Ernst Jünger vertritt beispielsweise diesen reaktionären Modernismus, der zum neuen Nationalismus der Weimarer Republik passt. Der männliche Arbeiter in der Stadt wird bei Jünger zum neuen nationalrevolutionären Subjekt geadelt, Technik wird zum Werkzeug der Zukunft.
Braun stellt in der Stadtbetrachtung von rechts vor allem drei Dimensionen fest: Städtebau, Stadtgesellschaft und Stadtpolitik. Sein Fazit: Die Stadtbetrachtung von rechts wechselt ständig zwischen negativer Gegenwartsbeschreibung und positiver Normalitätsvorstellung. Der Ist-Zustand der Städte wird mit wenigen Ausnahmen fast durchgängig negativ bewertet. Die Städte der Gegenwart stehen für die rechten Autor:innen für Enttraditionalisierung, Kontrollverlust, eine architektonische (Post-)Moderne, Vielfalt der Herkunft, kulturelle Entwurzelung und hemmungslosen Konsum und Eskapismus.
Bei ihrer Kritik an der (post-)modernen Ästhetik appellieren rechte Autor:innen oft an städtebauliche Traditionen. Vorindustrielle Städte werden dabei zu Sehnsuchtsorten. Die Rekonstruktionsarchitektur, wie etwa in der Dresdner oder Frankfurter Altstadt, findet viel Unterstützung.
Insgesamt aber werden die Städte der Gegenwart in rechten Kreisen verachtet und häufig mit Untergangs-Narrativen verbunden. Gearbeitet wird dabei mit Komplexitätsreduktionen. Der rechte Diskurs zeichne, so Bauer, „Kontraste und absolute Polarisierungen, die keinerlei Komplexität oder Widersprüchlichkeiten zulassen. Stadt zerfällt dabei in einen problematischen und einen gewünschten Zustand.“ Die „gute Stadt“ gibt es aus rechter Sicht bisher nicht, denn sie muss erst hergestellt werden. Dafür müssten Städte repariert, homogenisiert und diszipliniert werden.
Insgesamt liefert Braun eine gewissenhafte und interessante Einsicht in Diskurse über die Stadt aus rechter Sicht. Konkrete antifaschistische Handlungsoptionen lassen sich daraus aber kaum ableiten, außer vielleicht der Rekonstruktions-Architektur kritisch zu begegnen.
Der am Eingang des Buches postulierte Versuch des Autors einen rechten Stadtdiskurs ohne rechte Landvorstellungen herauszufiltern, wird am Ende nicht ganz erfüllt. Zu oft ist „das Land“ dann in rechter Perspektive doch die Positiv-Folie zur Stadt.
Eines muss man nach der Lektüre von »Stadt von Rechts« leider auch feststellen: Bei ihrer Analyse des Stadt-Land-Gegensatz liegen Rechte nicht immer komplett falsch, etwa in der „These der politischen, ökonomischen, medialen und kulturellen Dominanz der Stadt“, die zu der Annahme führt, „dass das Städtische gegenüber dem Ländlichen einen Bedeutungsüberschuss habe“. Wer sich gegen rechte Raumnahme auf dem Land und in der Stadt einsetzt, sollte diesen Bedeutungsüberschuss fortschrittlich bearbeiten.
▷ Lucius Teidelbaum ist freier Journalist und Autor mit dem Schwerpunkt extreme Rechte. Von ihm erschien zuletzt dieses Jahr ein Buchkapitel zu AfD-Außenpolitik in dem Sammelband »Rechts, wo die Mitte ist: Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus«, herausgegeben von Judith Goetz und Thorsten Mense.
▷ Johann Braun: »Stadt von Rechts. Über Brennpunkte und Ordnungsversuche«, Verbrecher Verlag, 2024, 280 Seiten, 26,00 Euro.