Turmbau zu Hamburg: „Euer Ruin ist unser Gewinn“

Sophia Leipert und Nina Manz

Die Aktionsgemeinschaft Ost (AG Ost) fordert mit performativen Mitteln eine alternative Nutzung von Spekulationsruinen in Hamburg. Der Zusammenschluss von Initiativen aus Kunst, Erinnerungsarbeit, Sport und Soziokultur versteht Planung als gemeinsames Tun und Stadt als selbstgemacht. Er positioniert sich klar gegen profitorientierte und für eine gemeinwohlorientierte Stadt- und Bodenpolitik, um Räume zu erhalten und zu schaffen, die für viele und vieles zugänglich und flexibel gestaltbar bleiben. Mit der performativen Eröffnung des Elbtowers im April 2024 wird ein Narrativ von urbaner Raumaneignung gezeichnet, das bestehende soziale Strukturen und den baulichen Bestand feiert.

100 Meter Stahlbetonskelett begrüßen all diejenigen, die über die Elbbrücken Richtung Hamburgs Innenstadt fahren. Seit Oktober 2023 stehen die Kräne still, am sogenannten Elbtower wird aktuell nicht weitergebaut. Statt Profite werden Verluste eingefahren. Die Signa, die verantwortliche Immobiliengruppe des Österreichers René Benko, ist pleite und bezahlt die Rechnungen des beauftragten Bauunternehmens nicht mehr. Signa bezeichnet hierbei nicht nur ein Unternehmen, sondern ein komplex verschachteltes Firmenimperium. Die Elbtower Immobilien GmbH & Co. KG, die mittelbare Tochter der Signa Prime Selection AG, meldete im Januar Insolvenz an.

Sowohl die Holding als auch mehrere Tochtergesellschaften stecken aktuell in Insolvenzverfahren, im Juni 2024 durchsuchte ein Großaufgebot der Polizei neben der Villa des Gründers auch den Sitz der Signa Holding in Innsbruck. Es geht dabei unter anderem um den Verdacht auf Untreue und Betrug (Tagesschau 16.04.2024).

Ein Turm-Skelett an der Elbe

Der Elbtower soll(te) ein Hochhaus am östlichen Ende des Stadtteils HafenCity werden. Mit einer Höhe von etwa 245 Metern sollte es das höchste Gebäude der Stadt, Deutschlands dritthöchstes und ein markantes Wahrzeichen werden. Olaf Scholz, damals noch Bürgermeister der Hansestadt, kommentierte in einer Rede 2018 die Entscheidung für den Entwurf des Architekturbüros des Londoner Stararchitekten David Chipperfield, indem er den Elbtower als architektonisches Highlight und wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Belebung bezeichnete. Das Wahrzeichen war dabei praktischerweise zugleich ein Denkmal für sich selbst: „Ich möchte, dass die Hamburgerinnen und Hamburger, wenn es fertig ist, sagen: Das hat der Scholz gut gemacht“, ließ er zu einem anderen Zeitpunkt verlauten (zit. nach Michal 2023). 

Bei den geplanten Nutzungen des Gebäudes überwiegen die Büroflächen mit rund 70.000 Quadratmetern Bruttogeschossfläche, dort sollten knapp 3.000 Arbeitsplätze entstehen. Zudem sollte ein Hotel einziehen und eine Aussichtsplattform eingerichtet werden. Wohnraum sollte an der Stelle nicht geschaffen werden. 

Seit dem Baustopp wird diskutiert, öffentlich und im hanseatischen Stil auf den kurzen Wegen zwischen Politik und Wirtschaft. Einer der letzten Vorstöße, wie denn jetzt mit der Ruine umzugehen sei, kam vom Logistik-Milliardär Klaus-Michael Kühne. Er forderte die Stadt auf, als neue Ankermieterin zu fungieren und Flächen anzumieten (NDR 22.07.2024). Für etwaige Finanzierungslücken könne ja dann auch öffentlich aufgekommen werden, frei nach dem bekannten Prinzip: Gewinne gilt es zu privatisieren, Verluste zu vergesellschaften.

Dies lehnte die Stadt vorerst ab; die Perspektive der Stadtentwicklungsbehörde sieht aktuell vor, die Verpflichtungen der bisherigen Eigentümerin an die künftigen Weiterbauenden weiterzureichen, welche „unter anderem die Höhe sowie die Aussichtsplattform und publikumswirksame Nutzungen im Sockelgeschoss“ umfassen würden. Hierfür sei die Stadt in den laufenden Verkaufsprozess im Auftrag des Insolvenzverwalters eingebunden gewesen (Welt 29.06.2024). 

Hamburger Osten: Kleingewerbe, Industrie und Kultur

Mit dem Zitat von Scholz „Hamburg richtet seinen Blick nach Osten […]. Dieser Schritt wird Hamburg noch urbaner machen und den weiteren Weg der großen Metropole Nordeuropas entscheidend prägen“, wird das Senatsprogramm „Stromaufwärts an Bille und Elbe“ von 2014 eingeleitet. Was ist dieser Hamburger Osten?

Der Hamburger Osten umfasst u.a. die Stadtteile Hammerbrook, Rothenburgsort, Hamm und Veddel. Neben neueren, günstigen Hotels gängiger Ketten gibt es zahlreiche Büro- und Gewerbeflächen. Die Aneignung der Räume seitens Künstler*innen, Leuten aus der queeren und Techno-Szene findet seit Jahrzehnten dort statt, so etwa zwischen den heutigen Büroflächen und ehemaligen Industrieanlagen in Hammerbrook. In den frühen 1980er gab es dort beispielsweise mit dem FRONT den ersten Club in Hamburg, welcher elektronische Tanzmusik für ein primär schwules Publikum spielte. Oder das Künstlerhaus Wendenstraße 45, wo seit einer erfolgreichen Besetzung Ende der 1980er – das Haus sollte einem Büroklotz weichen – Künstler*innen wirken und arbeiten.

Daneben sind es Räume wie die Billstraße, die den Osten prägen. Hier finden sich migrantisch-geprägte Kleingewerbeflächen entlang der zahlreichen Kanäle. Aus den größeren Industrieanlagen wehen süßlich-schwere Stärke-Gerüche bei entsprechender Windrichtung auch mal in die Innenstadt.

Beplant von vielschichtigen Interessen und Visionen der Rahmen- und Konzeptpläne wie »Stadteingang Elbbrücken« oder »Alster-Bille-Elbe Grünzug« steht das Gebiet vor tiefgreifenden Umbrüchen im großem Maßstab. Aufgrund der bevorstehenden Transformationen und damit einhergehenden Aufwertungsprozessen sind viele bestehende Nutzungen bedroht und wir stellen uns die Frage, wie die gemeinwohlorientierten Strukturen langfristig gesichert werden können. Denn rund um den Elbtower schließt die HafenCity mit einem Jahresdurchschnittseinkommen von 93.000 € und Rothenburgsort mit einem Einkommen von 20.500 € an. Wenn es ein unmögliches (unter den unzähligen) Szenarien für das Quartier gibt, dann, dass alles so bleibt wie es ist. 

AG Ost im April 2024: „Euer Ruin ist unser Gewinn“

Anfang April 2024 mischte sich eine weitere Akteurin in die öffentlichen Diskussionen ein: die AG Ost. Im Hamburger Osten angesiedelt ist diese ein Zusammenschluss diverser Initiativen. Sie engagiert sich u.a. in Architektur, Kunst, Erinnerungsarbeit, Sport, Bildung, Soziokultur und Stadtentwicklung und versteht Planung als gemeinsames Tun und Stadt als selbstgemacht. Sie positioniert sich klar gegen profitorientierte und für eine „gemeinwohlorientierte Stadt- und Bodenpolitik, um Räume zu erhalten und zu schaffen, die für viele und vieles zugänglich und flexibel gestaltbar bleiben“. Vielleicht ist es nicht übertrieben zu sagen, dass die AG Ost somit ziemlich am anderen Ende des Spektrums urbaner Wünsche als der Elbtower steht, sowohl was die inhaltliche Orientierung als auch die Zusammensetzung der einzelnen Akteure betrifft. Der Kampf um bezahlbare und langfristige Räume eint die vielfältigen Akteure. 

Ende April 2024 stellt die AG Ost ihre Raumbedarfe und Zukunftsvisionen der stillgelegten Baustelle gegenüber und lädt mit dem Titel „Euer Ruin ist unser Gewinn“ zur performativen Eröffnung des Elbtowers an der Landzunge ein. In galaktischem Kostüm und live in Gebärdensprache übersetzt, ruft die Rednerin den über 500 Besucher*innen zu:

„Doch nun, da die hinter uns befindliche Bauruine das Scheitern einer Stadtentwicklungspolitik von oben nicht treffender symbolisieren könnte, bringen wir uns in Stellung, um endlich von unserem Recht auf Stadt Gebrauch zu machen und den Tower der geplatzten Träume von Grund auf neu zu denken“.

In pinken Rauch gehüllt, unter den Rufen „Power to the Tower“ und mit knallenden Korken werden Bauschilder enthüllt, auf denen das Nutzungskonzept für eine Vitalisierung des Elbtowers durch die AG Ost im offiziellen Layout der Stadt visualisiert ist. Mit Stadtteilzentrum, einem Nistplatz für Tauben, Poliklinik, Bibliothek, Ateliers, Bootsanleger und öffentlichen Toiletten. 

Die Aktion schlug Wellen in der Hamburger Stadtgesellschaft und der überregionalen Presse. Mit der performativen Eröffnung der bekannten Spekulationsruine wurde verdeutlicht, welche Konsequenzen eine Stadtpolitik nach sich zieht, die den Profitinteressen der Benkos dieser Welt dient. Neben dieser Kritik hat die AG Ost damit auch ein anderes Narrativ von urbaner Raumaneignung gezeichnet, das die vor Ort bestehenden sozialen Strukturen und den baulichen Bestand feiert. 

Ruinen erzählen über unsere Gemeinschaften 

Ruinen können uns etwas über uns selbst erzählen, über unsere Kulturen, unsere Gemeinschaften und politischen Arrangements. Sie repräsentieren Architekturen und urbane Orte und somit Räume des Alltags, des Arbeitens, des Aushandelns. In Zeiten der sich verschärfenden Krisen können wir wohl mit einer Zunahme von Ruinen rechnen. Umso mehr steigt die Relevanz, sich vorzustellen, was nach der Ruine kommt. Dies variiert von Ort zu Ort und in Intensität, aber die Bedeutung lokaler Akteure in diesen Gemengelagen bleibt.

Die AG Ost zeigt ein tiefgreifend vernetztes und widerständiges nachbarschaftliches Gefüge auf, das besteht und das bleiben will. Über die Partikularinteressen der einzelnen Initiativen hinweg schafft das Aktionsbündnis eine gemeinwohlorientierte Praxis des Stadtmachens und konkretisiert mit dem Fokussieren auf alternative Räume, die sich der Gewinnorientierung und dem kontinuierlichen Wachstum entziehen, einen ersten Schritt dieser Zukunftsvisionen. Abrissbagger gehören längst zum Stadtbild Hammerbrooks, zwanzig Jahre alte Bürogebäude werden durch Neubauten ersetzt. Der Transformationsdruck auf den Hamburger Osten wird in den nächsten Jahren zunehmen und damit nicht nur die Gewinnmargen einzelner Investoren, sondern auch die Stimmen für einen bezahlbaren und lebenswerten Stadtteil. Solche Stimmen werden auch in Zukunft von der AG Ost gebündelt, mit Interventionen sichtbar gemacht und durch Megaphone verstärkt. 


Autorinnen

Sophia Leipert lehrt, arbeitet und promoviert an der Hafencity Universität in Hamburg. Sie forscht zu Infrastrukturen, Logistik und Häfen, und co-produziert eine stadtpolitische Radiosendung.

Nina Manz ist in der AG Ost aktiv und arbeitet mit dem »Hallo: e.V.« zu Bodeneigentumsverhältnissen sowie gemeinschaftlichen Projektentwicklungsprozessen. Sie ist Mitbegründerin des kollektiv geführten Planungsbüros UVM.


Weiterlesen

AG Ost: sokönnenwirnichtarbeiten.de


Weitere Quellen

Michal, Wolfgang (2023): Elbtower in Hamburg: Olaf Scholz, René Benko und eine riesengroße Dummheit. https://www.freitag.de/autoren/wolfgang-michal/elbtower-in-hamburg-olaf-scholz-rene-benko-und-eine-riesengrosse-dummheit (Zugriff: 30.08.2024)


Fotos

© Miguel Ferraz


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