Eigentumsfragen sind die Wurzel zahlreicher Krisen des 21. Jahrhunderts. Die Vergesellschaftungskonferenz hat den Grundstein für ein gemeinsames Verständnis von Vergesellschaftung gelegt, um als eine neue Bewegung die Verteilung von Eigentum und eine neue Organisation von gemeinwohlorientierter Wirtschaft fordern zu können.
Lara Schauland
„Die Vergesellschaftungskonferenz 2022 vermittelt eine dieser Erfahrungen, die in der deutschen Linken der letzten Jahrzehnte so rar sind, die Erfahrung, dass eine Bewegung mehr Kraft gibt als sie kostet“, twitterte die Autorin Bini Adamczak zum Abschluss der Konferenz. Über tausend Menschen aus Aktivismus, Politik, Wissenschaft und Gewerkschaften kamen am zweiten Oktoberwochenende an der Technischen Universität in Berlin zusammen. Die Bereitschaft voneinander zu lernen und über ein gemeinsames Verständnis von Vergesellschaftung zu diskutieren war immens: Es fanden Podien statt, bei denen Mitglieder stadtpolitischer Gruppen neben Gewerkschafter:innen saßen und dabei mit aktivistischen und antifaschistischen Gruppen über Ansätze zur gesellschaftlichen Transformation sprachen. Der Konsens, dass nur durch eine breite Vernetzung und Zusammenarbeit eine Alternative zur neoliberalen Wirtschaftslogik entstehen kann, zog sich als roter Faden durch die Workshops und Diskussionen.
Die vielfachen Krisen unserer Zeit benötigen gute Antworten
Denn die Frage nach solidarischen Lösungen für die aktuellen Herausforderungen sind dringend: Während viele Menschen schon jetzt vorsorglich frieren, machen Energiekonzerne krisenbedingt Rekordgewinne. In aller Deutlichkeit zeigt sich, dass die Trennlinie zwischen jenen, die diesen Winter mit existentiellen Sorgen konfrontiert sein werden, und solchen, die Gewinne einstreichen dürfen, entlang der Eigentumsfrage verläuft. Sollten sich keine gerechten Lösungen finden lassen, droht ein weiteres Erstarken faschistischer Bewegungen, die sich schon warmlaufen.
„In der modernen, vorherrschenden Eigentumskonzeption, dem Privateigentum, bündeln sich diese Krisen.“
Egal ob Klima- und Energiekrise oder Mietenwahnsinn und Pflegenotstand – die vielfachen Krisen unserer Zeit benötigen gute Antworten. In der modernen, vorherrschenden Eigentumskonzeption, dem Privateigentum, bündeln sich diese Krisen: Die Privatisierung von Schlüsselinfrastrukturen und Aufgaben des Gemeinwohls verringern die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft, angemessen auf Krisen und Notstände reagieren zu können. Sie wirken als Hemmer für eine drängende sozial-ökologische Transformation. Vergesellschaftung kann demgegenüber als mögliche Beschleunigerin für notwendige Veränderungsprozesse auftreten, als Eisbrecherin für eine breite gesellschaftliche Zustimmung. Der Erfolg der Initiative »Deutsche Wohnen & Co enteignen« hat gezeigt, dass eine breite und möglichst inklusive Ausrichtung für gesellschaftspolitische Bewegungen ein erfolgsversprechendes Konzept ist. Daran knüpfte auch die Vergesellschaftungskonferenz an.
Die Grundversorgung muss für alle Menschen gewährleistet werden
Auch wenn der Begriff gerade viel Zuspruch erfährt: Der Begriff Vergesellschaftung ist umstritten und von vielen Seiten nicht klar definiert. „Das Krasse ist, dass wir selbst noch nicht wissen, was wir meinen“, sagte die Sozialphilosophin Eva von Redecker in einem Diskussionsbeitrag. Der Vorschlag der Vergesellschaftung bezieht sich rechtlich-institutionell auf einen Artikel aus dem Grundgesetz, der bisher noch nie umgesetzt wurde. Es würde damit also neues politisches Terrain betreten werden. Der Artikel 15 GG besagt: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Wir als Organisator:innen der Konferenz verstehen unter diesem Begriff den Prozess, Konzerne aus den Händen einzelner weniger in die Hände der Gesellschaft zu geben und am Gemeinwohl auszurichten.
Diesen Prozess sollten vor allem Unternehmen durchlaufen, die in Bereichen tätig sind, die existenziell für das menschliche Leben sind. Insbesondere in der Grundversorgung mit essenziellen Gütern braucht es öffentliches, demokratisches Eigentum: Dazu zählen Gesundheit, Nahrung, Energie, Mobilität und Wohnraum. Daher sind diese Sektoren besonders attraktiv und sinnvoll, um einen Vergesellschaftungsprozess anzustoßen. Diese Bereiche sollten einer demokratischen Verwaltung unterliegen, weil sie uns alle angehen und betreffen. Sie gestalten grundsätzliche das Zusammenleben der Menschen und ermöglichen eine Solidargemeinschaft. Spekulation, hohe Rendite für Aktionär:innen und riesige Gewinne für wenige machen hier besonders wenig Sinn und arbeiten gegen das Ziel eines solidarischen Miteinanders. Mit dem Übergang vom Privateigentum in den öffentlichen Besitz werden diese Bereiche der gewinnmaximierenden Marktlogik entzogen. So kann lebenswichtige Grundversorgung für alle Menschen gewährleistet werden, unabhängig von ihren ökonomischen Möglichkeiten.
Nicht Staat, nicht privat – Gesellschaft!
Auf der Konferenz wurde deutlich: Vergesellschaftung meint nicht Verstaatlichung. Denn eine Verstaatlichung garantiert keine demokratische Kontrolle. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass vielfach staatliche Firmen für kurzfristige Gewinne privatisiert wurden. Ein Beispiel dafür ist die Deutsche Bahn. Bis an die Grenzen der Fähigkeit, die eigentlichen Aufgaben zu erfüllen, werden staatliche Unternehmen einer Politik der Profitmaximierung unterworfen. Durch den Prozess der Vergesellschaftung sollen hingegen Strukturen geschaffen werden, die es ermöglichen, langfristig und nachhaltig demokratisch darüber zu entscheiden, was wie und zu welchem Zweck produziert wird.
Jeder wirtschaftliche Bereich braucht eigene Konzepte
Aufgrund der komplexen unterschiedlichen Zusammenhänge in den wirtschaftlichen Sektoren gibt es kein allgemeingültiges Vergesellschaftungsrezept. Jeder wirtschaftliche Sektor braucht eigene Konzepte, eigene Strategien und eigene Akteure. Daher hatte die Konferenz den Austausch und das gemeinsame Lernen voneinander zum Ziel. „Auch wenn Kämpfe in unterschiedlichen Bereichen ganz unterschiedlich aussehen, ist es sinnvoll, sich begrifflich auf den gemeinsamen Erwartungshorizont der Vergesellschaftung zu beziehen“, sagte dazu Ruth Krohn vom »Konzeptwerk neue Ökonomie«. Nicht zuletzt zeigte die Vergesellschaftungskonferenz auf: Vergesellschaftung ist mehr als Übergewinnsteuer oder Mietpreisbremse. Sie beinhaltet die Möglichkeit, gemeinsam die Struktur unserer Gesellschaft zu verändern – und zwar zum Besseren.
Die gesellschaftliche Linke in Deutschland aus Gewerkschaften, linken Gruppierungen und Parteien schmiedet neue Allianzen, um das scheinbar unantastbare Privateigentum herauszufordern und eigene Gegenmodelle zu entwickeln. Das zeigte sich an diesem Wochenende sehr eindrücklich. Die Veranstaltung hat die Diskussion um Vergesellschaftung strömungsübergreifend in unterschiedliche Bewegungen getragen. Die große Teilnehmer:innenzahl und die Zusammensetzung haben gezeigt, welches Potenzial in Vergesellschaftung als Strategie und Hebelpunkt hat, um den aktuellen Herausforderungen in der Gesellschaft zu begegnen.
Aktuell sind unterschiedliche Nachfolgeprojekte geplant und die vielfältigen neuen Verknüpfungen und Verbindungen werden entwickelt. Wir hören nicht auf, für eine demokratische Wirtschaft zu streiten. Informiert euch gerne bei communia.de und unsere Social Media-Accounts über Neuigkeiten.
Autorin
Lara Schauland ist Politikwissenschaftlerin und Pressesprecherin des Orga-Teams der Vergesellschaftungskonferenz.
Titelillustration
© Jens Feddersen ▷ www.jensfeddersen.com