WENN WOHNEN ZUR WARE WIRD

Der Dokumentarfilm »SOLD CITY«

Sarah Klosterkamp

Der Dokumentarfilm »SOLD CITY – WENN WOHNEN ZUR WARE WIRD« (2024) von Leslie Franke und Herdolor Lorenz zeichnet ein differenziertes Bild der urbanen Transformation durch die Kommerzialisierung des Wohnraums. Als „Film von unten“ positioniert, liefert er eine kritische Auseinandersetzung mit den marktwirtschaftlichen Prozessen, die zur Gentrifizierung und sozialen Disparität führen, indem er exemplarisch durch Berlin, London, Hamburg, München, Basel, Singapur und Wien reist. Diese geographische Reichweite ermöglicht eine detaillierte Analyse der Raumproduktion und der Veränderungen im Stadtgefüge, die durch die Ökonomisierung des Wohnraums bedingt sind. 

Kritik an der sozialen Wohnraumförderung

Der erste Teil des Films – „Eigentum vor Menschenrecht?“ – thematisiert die Entwicklung von Gentrifizierungsprozessen, insbesondere in London und Berlin und bietet wertvolle Einblicke in die Mechanismen der urbanen Umstrukturierung und deren sozio-räumliche Auswirkungen. Hierbei verdeutlicht er vor allem für den deutschen Kontext die Problematik der sozialen Wohnraumförderung, welche vom Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm im Film als „Subventionierung privatwirtschaftlicher Interessen mit einer sozialen Zwischennutzung“ skizziert wird.

Diese Kritik wird durch konkrete Fallbeispiele, wie die sechsköpfige Kölner Familie, die nach Ablauf der Sozialbindung gerichtlich gegen eine Eigenbedarfsklage des Eigentümers kämpfen muss, veranschaulicht. Der Film dokumentiert am Beispiel eines Wohnblocks auf der Habersaathstraße in Berlin zudem verschiedene „Schikanen“ großer Investor:innen – von abmontierten Briefkästen bis zu Stromausfällen – und verdeutlicht die negativen Effekte des neoliberalen Wohnungsmarktes auf das Leben von Mieter:innen in diesen Spekulations- und Renditeobjekten. Diese detaillierte Darstellung illustriert die sozialen Ungleichheiten, die durch die Kapitalisierung von Wohnraum verstärkt werden und die Problematik der sozialen Exklusion in deutschen Städten, die im europäischen Vergleich einen hohen Grad an Betroffenheit dieser Prozesse aufweisen. Mehr als 50 Prozent wohnen in Deutschland zur Miete. 

Positive Beispiele und Reformvorschläge

Der zweite Teil des Films – „Enteignung statt Miete für die Rendite“ – hebt erfolgreiche Beispiele von Widerstand und alternativen Modellen hervor. Die Wohnungspolitik in Wien wird als Beispiel für eine integrative Stadtpolitik präsentiert, die durch lange Jahre der Gemeinnützigkeit und Mietpreisregulierung ein stabiles Wohnumfeld geschaffen hat. Dies wird als Gegensatz zu den spekulativen Marktbedingungen in London und den problematischen Entwicklungen in Berlin dargestellt. Die Darstellung der Wiener Wohnpolitik bietet wertvolle Einsichten in mögliche Modelle für eine sozial gerechte Stadtentwicklung und eine Alternative zur neoliberal geprägten Wohnungspolitik.

Mit Beispielen wie diesen regt der Film zur Diskussion über grundlegende Reformen an und verdeutlicht – insbesondere durch das Berliner Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« – dass diese durch gute Kampagnenarbeit „von unten“ geeignet scheint, gesellschaftliche Debatten über strukturelle Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt herbeizuführen. Zudem wird Singapur als radikales Modell für Landreform und Wohnungseigentum angeführt, obwohl die politischen und wirtschaftlichen Kontexte dieses Stadtstaats nicht näher beleuchtet werden. Wir lernen hier Menschen kennen, die als Teil einer Oberschicht und Antwort auf den Markt angefangen haben selbst in diese Stadtentwicklungsprojekte zu investieren und uns gemeinsam mit den Filmemacher:innen durch ihre eigenen vier Wände führen. Es werden nationale wie internationale Stadtplaner:innen interviewt, die verdeutlichen, wie es Singapur durch strikte Enteignungsgesetze gelang, nach dem Abzug der britischen Kolonialmacht in den 1960er Jahren, seinen Anteil am Landeigentum von 30 auf 80 Prozent zu erhöhen. Wir erfahren, dass die Bevölkerung durch staatlichen Druck dazu bewegt wurde, Eigentümer:innen von Wohnungen auf Basis von Erbpachtverträgen zu werden. Die autoritären politischen Strukturen des globalen Finanzzentrums Singapurs, die diese Prozesse mit untermauern, werden allerdings nicht thematisiert.

Oberflächliche Analyse der lokalen Kontexte

Während der Film eine umfassende geographische Perspektive bietet, fehlt insgesamt eine tiefere Analyse der spezifischen lokalen Kontexte, die zu den unterschiedlichen Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt beigetragen haben. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die in den untersuchten Städten zu den jeweiligen Marktentwicklungen geführt haben, werden nicht ausreichend differenziert. Eine detailliertere Betrachtung der lokal spezifischen Rahmenbedingungen, einschließlich der politischen Ökonomie und der urbanen Governance-Strukturen, hätte zu einer umfassenderen Analyse beigetragen. Obwohl der Film Modelle wie die Wiener Wohnungspolitik und das singapurische Enteignungssystem als potenzielle Alternativen präsentiert, bleibt er in der Diskussion über die Übertragbarkeit und Umsetzung dieser Modelle auf die deutschen Verhältnisse vage. Eine vertiefte Analyse hiervon für unterschiedliche städtische Kontexte hätte den Film weiter bereichert. So konzentriert er sich stark auf die Herausforderungen und Missstände des Immobilienmarktes, während positive Entwicklungen und innovative Ansätze in den untersuchten Städten weniger Beachtung finden.

„Wohnen ist ein Menschenrecht“, das man „nicht allein dem Markt“ überlassen dürfe, sagt der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. In diesem Kontext bietet »SOLD CITY – WENN WOHNEN ZUR WARE WIRD« als Film „von unten“ einen wichtigen Beitrag zur kritischen Diskussion über die Kommerzialisierung des Wohnraums und ihre Auswirkungen auf städtische Räume. Der Film bietet wertvolle Einblicke in die Mechanismen der urbanen Transformation und dokumentiert die sozio-ökonomischen Ungleichheiten und Abhängigkeitsverhältnisse im Kontext des Immobilienmarktes. Trotz seiner Stärken könnte der Film von einer differenzierteren Analyse der städtischen Kontexte und einer detaillierteren Diskussion der emanzipatorischen Potentiale geeigneter Alternativmodelle profitieren – und dies durch eine Kürzung der an anderer Stelle sehr lang geratenen und repetitiven Sequenzen.


Sarah Klosterkamp setzt sich als Forscherin seit vielen Jahren aktiv für eine feministische und gerechte Wohnungspolitik ein.

»SOLD CITY – WENN WOHNEN ZUR WARE WIRD«, Deutschland 2024, Teil 1 – Eigentum vor Menschenrecht? (105 Minuten), Teil 2 – Enteigung statt Miete für die Rendite (105 Minuten), Regie: Leslie Franke und Herdolor Lorenz, sold-city.org


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