Einmal Underdogs für alle

Mitten in der Coronakrise eröffnete die selbstorganisierte »ada_kantine« in Frankfurt/Main

Dieser Text ist entstanden an einem runden Tisch, der nicht rund war. Strenggenommen war er auch gar kein Tisch, sondern bestenfalls eine Ansammlung loser Bretter. Und ähnlich wie der Tisch ist auch dieser Beitrag allenfalls der Versuch, die verschiedenen Hintergründe und Perspektiven, die in der »ada_kantine« ihr temporäres Un-Zuhause gefunden haben, in eine Form zu bringen. Um einmal aus dem Hamsterrad der Alltagsbewältigung auszubrechen, haben wir uns in Ruhe an diesen Tisch gesetzt und gefragt: „Was machen wir hier eigentlich? Was ist die politische Dimension unserer Arbeit? Und wohin soll die Reise gehen?“ Als Projekt entstanden in Reaktion auf die verschärfte Situation bedürftiger Menschen und doch in utopischer Absicht, stießen wir dabei nicht zuletzt auf die Widersprüche von akuter Not und den eigenen Ansprüchen auf Selbstermächtigung und Inklusion.

Tatsächlich begann alles sehr schnell: Ende Mai dieses Jahres – mitten in der gesellschaftlichen Schockstarre der ersten Corona-Welle – kaperte ein kleiner, aber bunt gemischter Zusammenschluss lokaler Initiativen die leerstehende Mensa der ehemaligen »Akademie der Arbeit«, kurz »AdA«, auf dem alten Universitätscampus in Frankfurt am Main. Die vom Gewerkschaftsbund gegründete Einrichtung, die hier seit den 1920-Jahren Arbeiter*innen Zugang zu akademischer und politischer Bildung ermöglichte, hinterließ nicht nur eine professionell ausgestattete Großküche mit geräumigem Speisesaal, sondern auch einen gemütlichen Hinterhof mit anliegendem Garten. Die kurzfristige Gelegenheit, die Räume zu neuem Leben zu erwecken, traf dabei auf die desaströse Lage wohnungsloser und bedürftiger Menschen, die sich, wie sich in der Hochphase der Coronakrise deutlich zeigte, keineswegs auf die bestehenden städtischen Einrichtungen verlassen können. In Windeseile wurden Möbel, Gastrogeräte und Geschirr aus verschiedenen Restaurantauflösungen herangekarrt und nach nur vier Wochen Vorbereitung sowie einigen Probekochdurchläufen mit experimentierfreudigen Nachbar*innen konnte die »ada_kantine« Anfang Juli feierlich eröffnen. Seitdem bietet wir drei Mal die Woche ein veganes Mittagsessen aus Lebensmittelspenden und auf solidarischer Preisbasis an. An Sonntagen kommen mittlerweile bis zu 130 hungrige Gäste.

Ein Restaurant für alle?

Anlässlich der Eröffnung beschrieb die FAZ die »ada_kantine« als „Restaurant für alle“ und auch wir selbst haben dieses Label schon das eine oder andere Mal in Anspruch genommen. Aber trifft es dieser Titel überhaupt? Im Kontrast zu anderen karitativen Anlaufstellen verweist der Begriff „Restaurant“ durchaus auf ein wichtiges Charakteristikum der »ada«: „Normalerweise geht man irgendwohin, steht in der Schlange und kriegt was. Hier kommt man an den Tisch und wird bedient, das ist schon nicht schlecht“, beschreibt es Rudi, der regelmäßig zum Essen kommt, sich aber auch vorstellen kann, in Zukunft mal selbst mit anzupacken. Ganz bewusst ging es uns darum, die Gäste zumindest für eine kurze Zeit aus der Position der ständigen Bittsteller*innen herauszuholen, ihnen Wertschätzung entgegenzubringen, die ihnen ansonsten verwehrt wird.

Und doch, anders als im Restaurant, wird in der »ada_kantine« weder individuell à la carte bestellt – alle kriegen hier das gleiche – noch sind die Bedienungen entlohnte Servicekräfte. Immer wieder schlafen einige unserer Gäste auf ihrem Stuhl ein und verweilen einige Stunden hier. Nicht, weil es bei uns so ruhig wäre, im Gegenteil: In der offenen Küche wird oft rumgebrüllt, Gläser gehen zu Bruch, irgendwer klimpert auf dem Klavier und an manchen Tagen werden während des Mittagsessens sogar akademisch anmutende Vorträge gehalten. Aber der Raum scheint eine Form von Sicherheit zu vermitteln, die zu Entspannung führt bei den Menschen, die es gewohnt sind, sonst in einer ständigen Wachsamkeit und Angst zu leben.

Sozialer Überschuss…

Die Aufgabe der »ada_kantine« kann und soll sich eben nicht darin erschöpfen, Menschen „einfach nur satt zu machen“, wie Anya von der beteiligten Künstler*innengruppe »andpartnersandcrime«, die zum Projekt Gestaltung und Design beigetragen hat, es ausdrückt. Das scheint zum weit geteilten Konsens geworden zu sein. Keinesfalls soll die »ada« zum bloßen Lückenfüller staatlichen Versagens werden, sollen die fatalen Folgen zunehmender Armut und Obdachlosigkeit, die sich in Frankfurt besonders drastisch zeigen, funktional verwaltet werden. Jenes „mehr als das“ lässt allerdings erheblichen Raum für die unterschiedlichsten Interpretationen, Vorstellungen und Forderungen. Denn so unterschiedlich die Gäste, so durchaus verschieden sind auch die Hintergründe und Motivationen, derjenigen, die sich als Gruppe oder Einzelpersonen auf verschiedenste Weise an der Gründung der »ada_kantine« beteiligt haben.

Lisa, die schon in Geflüchteten-Camps oder bei den Blockupy-Protesten gekocht hat, sah in der »ada« von Anfang an die Möglichkeit, einiges grundlegend anders zu machen: „Wir betreiben hier unheimlich viel Lebensmittelrettung. Auch um zu zeigen: Es geht anders, man muss es halt einfach nur machen. Ich glaube wir haben hier echt einen ganz tiefen Ansatz in vielen Dingen“. Saeed, der 2015 aus dem Iran geflohen ist, beschreibt seine Mitarbeit dagegen durchaus auch im Sinne eigener Selbstermächtigung: „Die Leute, die hier mitarbeiten, leisten etwas für diese Gesellschaft, sie arbeiten nicht wegen der Entlohnung, sondern auch für sich selbst. Am Ende des Tages haben sie zwar nichts in der Hand, aber etwas Wertvolles in ihrem Herzen“. Dabei betont er das Zusammentreffen ganz unterschiedlicher Menschen: „In der ada_kantine kommen viele verschiedene Leute aus verschiedensten sozialen Schichten zusammen, sowohl als Mitarbeiter*innen als auch als Gäste. Ich schätze es sehr wert, dass es so einen Treffpunkt gibt, an dem die Menschen helfen oder ihn einfach nur nutzen können“.

…solidarischer Raum

Anya geht hier noch einen Schritt weiter. Sie sieht in der »ada_kantine« die Chance, geltende Grenzziehungen der Reproduktionsarbeit, die Unterscheidung zwischen denen, die die Infrastruktur herstellen und denen, die sie nutzen, ins Schwimmen zu bringen: „Es geht darum, einen solidarischen Raum zu schaffen, in dem es keine Grenze gibt zwischen Bedürftigen und den Leuten, die hier mitarbeiten. Für uns als Künstler ist es vielleicht auch ein Raum, in dem man zusammen Kenntnisse generieren, einen Austausch schaffen kann, in denen diese Grenzen, die die Leute trennen, nicht mehr existieren“. Und tatsächlich scheint dieses Aufbrechen zumindest zeitweise immer wieder zu gelingen. Unsere Gäste sind Menschen, die auf der Straße wohnen, Bezieher von Sozialhilfen und Leute, die zuhause vielleicht gerade noch den Strom bezahlen können. Es sind aber auch Künstler*innen, Punks und Rentner*innen. Nicht selten fällt es schwer, sie äußerlich zu unterscheiden. Einige kommen als Gäste und stehen am Ende des Tages mit einer Schürze hinter der Spüle, andere haben das Projekt mit aufgebaut und kommen jetzt nur noch sonntags zum Mittagessen. Müsste man nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner suchen, dann könnte man vielleicht behaupten, dass viele eint, dass sie irgendwie nicht in das gängige System passen oder daran kaputt gegangen sind.

…und Anlaufstelle

Konkreter, aber vielleicht auch brüchiger, wird dieses Bild mit Blick auf das Anliegen der von Beginn an beteiligten Initiative »Project Shelter«. Seit Jahren kämpfen sie für ein selbstverwaltetes migrantisches Zentrum als Anlaufstelle für Geflüchtete in Frankfurt. Osman, Mitbegründer von »Project Shelter« und Teil des Küchenteams erklärt, dass für ihn die Idee, bezahlte (Ausbildungs-)Stellen in der »ada_kantine« zu schaffen, an erster Stelle steht. Viele Mitglieder der Gruppe sind auf Grund ihres Aufenthaltstatus de facto dazu gezwungen, unter extrem widrigen und ausbeuterischen Bedingungen zu arbeiten. „Es wäre also großartig, die Möglichkeit zu schaffen, dass Menschen stattdessen in der ada_kantine arbeiten, bezahlt werden und damit gleichzeitig ihren Status sichern können“. Osman macht damit auch deutlich, dass die von den anderen betonte Niedrigschwelligkeit bei ihm und seiner Gruppe durchaus an materielle Grenzen stößt: „Viele von uns fühlen sich der »ada« verpflichtet und würden hier gerne 24/7 mitarbeiten, aber haben einfach nicht das Privileg, hier sein zu können. Genau das müssen wir überwinden, um noch mehr Leute mit verschiedenen Hintergründen einzubinden“.

Die »ada_kantine« ist der Versuch, der gesellschaftlichen Realität eine andere Form von Sorge-Infrastruktur und Gemeinwesen entgegenzuhalten, ist dabei aber selbst nicht vor den Grenzen und Ausschlüssen materieller Not gefeit. Im komplexen Nebeneinander der verschiedenen Bedürfnisse und Vorstellungen, die in der »ada_kantine« zusammentreffen, ist das geteilte „mehr als das“ letztlich die Forderung nach mehr gesellschaftlicher Teilhabe. Eine Forderung, die nicht auf Transparente gemalt, sondern durch die Versammlung der adaist*innen ein Stück Realität wird.


Autorinnen

Eleonora Herder und Yannik Böckenförde sind Teil der »ada_kantine«.


Illustration

Rainer Midlaszewski unter Verwendung eines Icons von Pelin Kahraman (Noun Project)