Postwachstumsstadt

Gegenentwürfe zusammenbringen – Ein Interview mit dem Aktivisten und Wissenschaftler Anton Brokow-Loga

Wie könnte eine solidarische und gerechte Stadt aussehen? In der Postwachstumsstadt sollen Gegenentwürfe und Akteur*innen des nachhaltigen und solidarischen Wandels zusammengebracht werden. Die im März 2020 erschienene Publikation »Postwachstumsstadt« versucht, die unterschiedlichen Perspektiven zu bündeln. Anton Brokow-Loga ist einer der Herausgeber des Bandes. Er wohnt und arbeitet in Weimar, ist dort Aktivist und parteiloser Stadtrat, forscht an der Universität und begleitet die Arbeit an einem »Zentrum für Beteiligungskultur«.

Wie kam es zu eurer Publikation »Postwachstumsstadt«, was war der Hintergrund?

Den Anfang bildete die kritische Auseinandersetzung um Wachstum, „Degrowth“ und Transformation in zunächst studentischen Stadtplanungsseminaren an der Universität Weimar. Durch eine darauf basierende Konferenz wurden Brücken geschlagen zwischen den Diskursen in akademischen und praxisorientierten Sphären in Stadtplanung und Architektur. Hier kamen Stadtplaner*innen, Forscher*inen und Aktivist*innen zusammen und haben sich gemeinsam die Frage gestellt „Wie wollen wir miteinander leben?“ Im Buch wurden die Debatten der Konferenz verschriftlicht und weitergeführt. Es erschien als Open Access-Publikation, was mir wichtig war, da Wissenschaft zugänglich sein muss.

Was ist die Postwachstumsstadt? Was hat das mit der Frage, wie wir leben wollen zu tun?

Die Postwachstumsstadt ist kein Entwurf, der sich eins zu eins umsetzten lässt oder aus dem 3D-Drucker kommen kann. Sie ist keine Planung am Reißbrett. Erst einmal ist sie eine Einladung zum Gespräch, zum Träumen, aber auch zum Kritisieren.

Ich verbinde damit drei Zugänge: Erstens steckt in der Postwachstumsstadt eine Kritik an den derzeitigen Verhältnissen und Modellen unserer Städte. Die Modelle der unternehmerischen und wachstumszentrierten Städte haben uns in eine Sackgasse geführt. Sie produzieren Scheinlösungen, wie das Konzept der Smart City oder eine Nachhaltigkeitsdebatte, die Privilegien ausblendet. Der zweite Zugang ist der Versuch, Gegenentwürfe zusammenzuführen. Es geht darum, anzuerkennen, dass sich in den Nischen und den Brüchen der derzeitigen Stadtmodelle Bewegungen tummeln, die in ihrer Pluralität wichtig sind: Radentscheide, Solidarity City, Mietstreiks, Widerstand gegen Zwangsräumungen und Freiraumprojekte können durch Austausch in ihrer Vielfalt gestärkt werden. Es soll nicht die alte Monokultur mit einer neuen Monokultur ausgetauscht werden, sondern mit einem bunten, pluralistischen Gegenentwurf. Der dritte Aspekt ist das Gestalten von neuen Denkräumen und der Glaube an kollektiven Utopien. Unsere Vorstellungskraft ist da gerade eingeschränkt. Wie können wir in unserer Stadt leben und gleichzeitig planetare Grenzen respektieren?

Was wäre denn die Rolle der Recht auf Stadt-Bewegung in der Postwachstumsstadt?

Ich finde es wichtig, dass sich diese Akteur*innen in gemeinsamen praktischen Projekten treffen, zum Beispiel in gemeinsamen Wohn- und Freiraumprojekten. Und dieses gemeinsame Arbeiten zwischen Recht auf Stadt- und Degrowth-Aktivist*innen sollte auch beim Denken und beim Framing stattfinden. Das Label »Stadt für Alle« kann aus meiner Sicht gut genutzt werden, um ein Narrativ zu etablieren. Und auch die Vernetzung über die eigene Stadt hinaus hat Potenzial. Letztendlich brauchen wir eine polyzentrische und hierarchiearme Verknüpfung lokaler Projekte, um langfristig wirkmächtig zu werden.

Wie sähe denn eine Strategie aus, um den Ideen einer Postwachstumsstadt näher zu kommen?

Wir brauchen eine Kombination von unterschiedlichen Logiken. Ich bin ein großer Verfechter der Transformationstheorien von Erik Olin Wright. Wir brauchen Projekte, die in den Nischen des derzeitigen Wirtschaftssystems funktionieren und in denen alternative Formen des Zusammenlebens entworfen und gelebt werden können. Wir brauchen Politikansätze, die die Parlamente oder munizipalistische Plattformen nutzen und für solidarische Belange einzuspannen versuchen. Und dann braucht es auch Akteur*innen, die mit temporären Interventionen Brüche in der aktuellen Logik der Gesellschaft verursachen, neue Ansätze anstrengen. Diese Ansätze müssen durch Narrative und eine dezentrale Vernetzung zusammengeführt werden. Nach wie vor finde ich das Bild der Graswurzel dazu sehr passend: Lokal verwurzelt, dezentral vernetzt. Wir müssen aber auch einen Plan entwerfen, der unter den jetzigen Umständen noch schwierig zu entwickeln ist. Strategische Diskussionen können uns dabei helfen, wissenschaftliche Ansätze und die Recht auf Stadt-Bewegung zu verknüpfen.

Wie könnte denn eine Postwachstumsplanung aussehen?

Planung ist heute, entgegen der landläufigen Vorstellung, weder rational noch unpolitisch oder unideologisch. Statt diese Illusion weiter aufrechtzuerhalten, kommt sie um eine Auseinandersetzung mit sozialen Konflikten nicht herum. Sie muss sich der Aufgabe annehmen, auch Interessen marginalisierter Gruppen zu vertreten. Das hat in den vergangenen Jahren einen geringen Stellenwert eingenommen. Weitaus eher ging es darum, Ungerechtigkeit und ungleiche Verteilung mit „smarten“ Lösungen zu verhüllen.

Inwiefern soll Planung per se politisch sein?

Die vermeintliche Entpolitisierung der letzten Jahrzehnte war eine versteckte Ideologisierung. Das heißt nicht, dass wir nun Planung ideologisieren müssen, aber wir sollten über unausgesprochene Prämissen reden: Wem hilft Planung jetzt gerade? Planung ist auch ein Herrschaftsinstrument, das dazu dient, die geschaffenen Strukturen zu erhalten. Diese Strukturen ermöglichen es uns derzeit, auf Kosten Dritter zu leben und deren Interessen auszublenden. Und das ist meines Erachtens ein zentraler Ausgangspunkt. Um von diesem Punkt weiterzugehen, müssen Planer*innen sich innerhalb der Gesellschaft verorten und sich nicht als externe technische Gutachter*innen sehen. Stadtplanung muss Vielfalt sichtbar machen und eine andere Form der Stadt ermöglichen, Care-Arbeit kann hier ein zentrales Element sein. Die derzeitige Lebensweise ist extrem abhängig von Care-Arbeit und gleichzeitig ist diese im städtischen Raum nicht sichtbar und schlecht bezahlt.

Postwachstumsstadt ist aber vor allem ein ökonomischer Begriff. Welche Rolle spielen ökonomische Aspekte bei dem Konzept?

Die Frage nach Ökonomie ist wieder sehr groß (lacht). Die Alltagsökonomie spielt sträflicherweise nur eine geringe Rolle in der Art und Weise wie Städte momentan geplant werden. Mit Alltagsökonomie oder Foundational Economy meine ich die als „systemrelevant“ eingestuften Infrastrukturen der Daseinsvorsorge, Nahversorgung, Pflege, Bildung. Vieles davon wird zunehmend privatisiert und erhält zu wenig städtischen Raum.

Für das transformative Wirtschaften in unseren Städten, müssen wir einen Blick auf die planetaren Grenzen werfen und die globalisierten Produktionsprozesse entflechten. Es geht schlicht darum, die Orte der Produktion wieder näher an die Orte der Konsumption zu führen. Mit Produkten, wie zum Beispiel Telefone oder Motoren, die nicht in der Stadt oder dem näheren Umfeld produziert werden können, müssen wir als Stadtbewohnende viel sparsamer umgehen. Um Ressourcen zu sparen, muss es radikale Einschränkungen vor allem für das obere Fünftel der Gesellschaft geben.

Dazu gehört auch, dass wir Städte umbauen, um kurze Wege zu den Läden, Pflegeeinrichtungen und Kindertagesstätten, aber auch zu den Orten der Lohnarbeit zu ermöglichen. Dies wird einerseits Zeit schaffen und andererseits neue Flächen freigeben für Nutzungen, die momentan dringender gebraucht werden. Wenn die Menschen nicht mehr über große Distanzen pendeln müssen, brauchen wir keine Autobahnen mehr: In Amsterdam soll eine Autobahn zurückgebaut werden, um Flächen für Wohnraum zu schaffen.

Du sitzt in Weimar im Stadtrat. Wie versuchst du in dieser Rolle, diese Vision umzusetzen?

Long way to go. Ich fange mit dem Schaffen eines anderen Verständnisses für Urbanität an. Ich versuche Umweltthemen in die Ausschüsse einzubringen, ich versuche Erfolge aus Sozialen Bewegungen abzusichern und Rückschritte zu verhindern. Ich stehe auch ein für eine Politik ohne Einschnitte im Kulturbereich und für eine Politik, die Handlungsspielräume für eine gerechte Wohnungspolitik herstellt.

Ist das dann ein logischer Schritt: Zuerst in die Bewegung zu gehen und dann ins Parlament?

Soziale Bewegungen und Initiativen sind in Ihrem Wesenskern temporär. Und sobald beispielsweise die Recht auf Stadt-Bewegung beginnt, sich zu institutionalisieren, werden bestimmte Strukturen geschaffen, die problematisch sein können: Es werden Funktionäre und Vorstandssprecher*innen bestimmt, mittelbare Repräsentation ersetzt dann direkten Einfluss. Ich sehe Soziale Bewegungen trotzdem als zentral und wirkmächtig. Sie sind schwer steuerbar und verschwinden nach einiger Zeit, aber Aufgabe parlamentarischer Politik ist es dann, im richtigen Moment die Anliegen der Bewegungen wahrzunehmen, aufzugreifen und rechtlich zu verstetigen. Sie kann dadurch Wegbereiterin sein für den notwendigen Druck und die Energie von der Straße. Das war auch ein Lernprozess für mich: Wie können wir für unsere Interessen Mehrheiten erstreiten und wie können wir diese für strukturelle Änderungen nutzen?


Interview

Anton Brokow-Loga ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauhaus-Universität Weimar und ist unter @abrokowloga auf Twitter zu finden.

Das Interview führte Florian Heinkel. Er ist Teil der Común Redaktion.


Weiterlesen

Weiterlesen: Die Publikation »Postwachstumsstadt« kann unter www.postwachstumsstadt.de heruntergeladen werden. Das Buch »Stadtpolitik für alle. Städte zwischen Pandemien und Transformation.« denkt die Ideen der Postwachstumsstadt weiter und setzt Sie in den Kontext der Pandemie. Beide Bücher sind Open-Access Publikationen.


Illustration

Sandra Bach und Katharina Scholz von sandruschka – Raum für Gestaltung