Cheerleading, Skepsis und Anspruchshaltungen

Die »Right to the City for All-AG« in der Kampagne »Deutsche Wohnen & Co. enteignen« (DWE) erzählt von ihrer Gründung und wie sie mit unkonventionellen Aktionen etablierte Herangehensweisen bereichert.

Right to the City for All AG

Als wir bei DWE mit dem Sammeln von Unterschriften begannen, wurde ein Problem offensichtlich: Gerade in den Hochburgen der Kampagne, wie zum Beispiel Neukölln, wurden viele Unterschriften gesammelt, die keine offizielle Gültigkeit hatten aufgrund des fehlenden deutschen Passes. Sollten wir diese „politischen Unterschriften“ sammeln oder nicht sammeln? Die Menschen ohne Pass ansprechen oder nicht ansprechen, um Kapazitäten zu sparen? Diese und andere komplexe Fragen stellten sich. Es wären ja gerade diese Berliner:innen, die besonders von der Vergesellschaftung von großen Wohnungsgesellschaften profitieren würden: Vor allem jene, die von Rassismus in seinen vielfältigen Formen betroffen sind, haben es auf dem Wohnungsmarkt schwer. Gerade die auf dem Wohnungsmarkt Benachteiligten sollten also die Möglichkeit haben, sich in die Initiative einbringen zu können. Das war zentral und wichtig. Also entschlossen wir uns, Menschen auch ohne den „richtigen“ Pass unterschreiben zu lassen. Die Entscheidung beim Sammeln keine Ausweise zu kontrollieren oder nach dem Status zu fragen führte aber zu Frustration: Zwar war es schön mehr Unterschriften zu bekommen – egal ob diese nun zählten oder nicht. Gleichzeitig war es aber auch demotivierend, seinen Nachbar:innen und Mitmenschen erklären zu müssen, dass ihre Unterschriften faktisch keinen Unterschied für das Volksbegehren machen. Viele wurden davon entmutigt, beteiligten sich dann nicht mit ihrer Unterschrift und brachten sich auch nicht in die Kampagne ein. Das Schlimmste war also, dass es vielfach dazu geführt hat, dass die am meisten betroffenen Berliner:innen sich nicht an unserer Initiative beteiligen konnten oder wollten, weil sie keinen deutschen Pass haben. Damit blieb DWE der Zugang zu einem großen Schatz an Wissen, Erfahrungen und motivierten Menschen verschlossen.

Ein wichtiger Anspruch der DWE-Kampagne war es, die Kämpfe von Mieter:innen zu verbinden und sichtbar zu machen – Pass hin oder her. Dieser Anspruch drohte nicht nur in der Unterschriften-Sammel AG, sondern auch in anderen AGs zu scheitern, zum Beispiel in der „Organizing-Abteilung“ von DWE, der »AG Starthilfe«. Diese sah sich mit vielen Herausforderungen konfrontiert, wenn es darum ging Mieter:innen mit unterschiedlichen Sprachen und Migrationserfahrungen in Mieter:innen-Initiativen zu organisieren oder sie sogar zur Teilnahme an DWE zu bewegen. Die AGs waren alle daran interessiert diese Problematik progressiv anzugehen. So entstand im gemeinsamen Austausch die Idee, eine englischsprachige Informationsveranstaltung durchzuführen, aus der schlussendlich die Gründung der AG »Right to the city for all« (R2C-AG) resultierte. Ein Lösungsansatz, der Berliner:innen ohne deutschen Pass ermutigen sollte, sich in die Kampagne einzubringen.

Entwicklung und Themen in der AG »Right to the city for all«

Die »R2C-AG« war und ist an verschiedenen Stellen der DWE-Initiative beteiligt. Unsere ersten Schritte bestanden darin, ein Verfahren für die Sammlung der sogenannten „politischen“ Unterschriften in den DWE-Strukturen zu erarbeiten, also solche Unterschriften, die die Berliner Gesetzgebung als ungültig ansieht. Für uns als Teil der Mietenbewegung haben sie eine politisch-moralische Gültigkeit.

Wir wollten mit einem Mix aus Reden, Spielen, Musik, Tanz und anderen künstlerischen Elementen ein durchmischtes Publikum ansprechen.

Die daran anknüpfende Debatte innerhalb unserer Initiative war alles andere als konfliktfrei. Doch am Ende einigten wir uns darauf, dass DWE sich politisch mit der Skandalisierung des Demokratiedefizits in Berlin beschäftigen wird – sowohl innerhalb der Initiative, als auch in der Öffentlichkeit. Um letzteres anzugehen, organisierten wir eine Kundgebung auf dem Tempelhofer Feld. Bei dieser Kundgebung zeigten sich bereits zentrale Elemente der politischen Praxis der »R2C-AG«. Es ist uns zusammen mit zehn anderen migrantisch geprägten Organisationen erfolgreich gelungen, die Themen ‚Recht auf Stadt‘ und ‚demokratische Teilhabe für Alle‘ zu verbinden und bei der Kundgebung sichtbar zu machen. Diese hatten wir absichtlich unkonventionell organisiert: Wir wollten mit einem Mix aus Reden, Spielen, Musik, Tanz und anderen künstlerischen Elementen ein durchmischtes Publikum ansprechen. Diese Diversität hat sich – zu unserer Freude – auch in vielen neuen Mitstreiter:innen, die sich bei uns in der AG in den folgenden Wochen und Monaten organisiert haben, widergespiegelt. Leider gelang es uns aber nicht, die anderen Organisationen mehrheitlich für eine dauerhafte Beteiligung in der AG oder für den Volksentscheid zu begeistern. Außerdem gab es am Ende der Kundgebung eine Situation rassistischer Polizeigewalt, auf die wir nicht ausreichend vorbereitet waren.

Neben diesem Fokus haben wir uns als »R2C-AG« selbstverständlich auch am Sammeln der Unterschriften und dem ‚Wahlkampf‘ um die Ja-Stimmen beim Volksentscheid beteiligt. Zudem entwickelte sich aus »R2C« heraus eine LGBTQIA+ –Taskforce als Plattform queerer Aktivist:innen, um den Volksentscheid auch in queere Räumen zu bringen.

Cheerleading als Kassenschlager

Unser größter ‚Kassenschlager‘ ist aber zweifelsohne das DWE-Cheerleading-Projekt, das aus der »R2C-AG« hervorgegangen ist. Es knüpft an unsere experimentellen Aktionen im urbanen Raum an, die diesen auf unterschiedliche Weise bespielten und die öffentliche Präsenz der Initiative ausbauten – auch mit dem Ziel die Nicht-Wahlberechtigten in der Kampagne sichtbar zu machen. Das Cheerleading-Team erreichte unerwartet große Resonanz bei der Stadtbevölkerung und mehreren einflussreichen Medien und wurde so zum echten Glücksgriff für DWE. Für uns war diese tänzerische und bunte Ausdrucksform eine Möglichkeit, Freude mit politischem Aktivismus zu verbinden. Unsere konsequente Haltung half uns dabei, selbstständig diese kreative Ausdrucksform zu finden und zu gestalten. Wir wollten uns nicht ‚anpassen‘, sondern unseren Weg der Teilhabe finden. In die gleiche Kerbe schlägt unser Modeschau-Projekt vom September 2022, das wir zum Straßenfest anlässlich des gewonnenen Volksentscheids veranstalteten.

»R2C« und die Sprache

Wir sprechen Englisch bei »R2C«, um viele Menschen unterschiedlicher Hintergründe und Sprachen einzubeziehen. Wir hatten englischsprachige Delegierte, die Interviews für DWE führten.

Der Vorteil viele verschiedene Sprachen in unserer AG zu haben, machte sich auch für die Pressearbeit mit unterschiedlichen Kanälen bezahlt. Wir haben sowohl online als auch in Präsenz auf unterschiedlichsten Veranstaltungen in vielen Ländern und Städten gesprochen, die mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind und sich über Strategien und Praxen austauschen wollten. Um Menschen in ähnlichen Situationen zu empowern, richteten wir einen Telegram-Kanal für „Supported Press Practice“ ein. Aber auch außerhalb des Bereichs der Öffentlichkeitsarbeit wurden wir eine Anlaufstelle zur Übersetzung des Kampagnenmaterials in viele verschiedene Sprachen.

Selbstverständlich haben Aktive, die über »R2C« in die Initiative gekommen sind, ihre vielen Fähigkeiten, Talente und Leidenschaften an unterschiedlichen Stellen in die Initiative einbringen können. So produzierten wir das (auf Deutsch verfasste) Telegram-Audio-Briefing „An die Türen“ als Unterstützung für Haustürgespräche während der Wahlkampfphase. Andere entwickelten zwei sehr erfolgreiche Kampagnenfilme, zum einen für den Wahlkampf („So that Berlin remains our home.“) und zum anderen für die Umsetzung des Volksentscheids („Feels like the city’s getting ready to enteignen!“).

Vorwürfe und Kritik an »R2C«

Die Gründung von »R2C« löste, für uns überraschend, auch einige Skepsis und vereinzelt Ablehnung innerhalb der Aktivenstruktur von DWE aus. Zentrale Vorurteile und Ängste, die uns gegenüber formuliert wurden, waren unter anderem:

„Ihr sagt, ihr seid die Migrant:innen in der Kampagne, aber das stimmt nicht. Ihr seid nur einige ,Expats‘ und repräsentiert nicht die Mehrheit der Migrant:innen/Menschen mit Migrationsgeschichte in der Stadt.“

„Ihr konzentriert euch nur auf das Fehlen eines deutschen Passes. Es gibt aber Menschen die (mehr) diskriminiert werden und Opfer von Rassismus sind, obwohl sie den Pass haben.“

„Euer Ziel ist nicht die Enteignung von Deutsche Wohnen und Co., sondern anderes, wie das Wahlrecht für alle.“

„Ihr sprecht Englisch, deshalb vertretet ihr keine Migrant:innen; ihr werdet nicht diskriminiert, ihr wollt eigentlich nur eine englischsprachige linke Gruppe gründen.“

Diese Vorwürfe haben wir oft weder als konstruktiv und noch fundiert empfunden. Dennoch haben sie uns dazu gebracht, darüber nachzudenken, wer wir als »R2C-AG« sind und wen wir repräsentieren. Es kam durchaus vor, dass wir im Rahmen der DWE-Kampagne von Interessierten oder Journalist:innen, aber auch Kritiker:innen und Menschen aus der Politik nach der „Migrant:innen-Perspektive“ gefragt wurden und manchmal haben wir auch darauf geantwortet. Es war uns dabei immer wichtig, deutlich zu machen, dass es nicht die EINE Perspektive von Migrant:innen gibt und wir deshalb auch nicht ALLE Perspektiven „wiedergeben“ können. Insbesondere die Sicht derjenigen, die seit mehreren Generationen gegen Rassismus und für das Wahlrecht in Deutschland kämpfen, kann von der »R2C-AG« nicht vertreten werden (und es war auch nie unser Anspruch) – schlichtweg aus dem Grund, weil sich diese Menschen nicht in unserer AG organisieren. Obwohl wir diese Perspektiven nicht für uns reklamierten, führte dies teils zu Unbehagen deutscher Mitglieder mit Migrationshintergrund mit uns. Diesen Repräsentationsanspruch gegenüber migrantischen Gruppen sehen wir aber auch als generelles Problem in der gesellschaftlichen Linken.

Uns als „Expats“ zu bezeichnen, empfinden wir als Mittel uns alle einheitlich mit einem negativen Etikett zu versehen.

Wir werden oft als „Expats“ bezeichnet (Abkürzung des englischen Wortes Expatriate, für eine vorübergehend im Ausland beschäftigte Person). Der Begriff verneint wichtige Effekte von Migration, wie wir sie durchleben: Jedes weitere Jahr, das wir in Deutschland verbringen, prägt uns und entfernt uns weiter von den Orten, aus denen wir kommen. Der Begriff macht diejenigen von uns unsichtbar, die deutsche Partner:innen und/oder Kinder haben und nicht vorhaben, in ihre Herkunftsländer zurückzukehren. Er macht auch diejenigen von uns unsichtbar, die nicht weiß sind oder nicht zur Mittelschicht gehören. Uns als „Expats“ zu bezeichnen, empfinden wir als Mittel uns alle einheitlich mit einem negativen Etikett zu versehen. Dadurch werden wir ausgeschlossen und herabgesetzt, unsere Beteiligung am politischen Leben in er Stadt und an der Kampagne wird nicht ernst genommen und wertgeschätzt. Auch wenn unsere Mitglieder größtenteils nicht aus den ‚traditionellen‘ migrantischen Communities Berlins stammen und/oder Deutsch als Fremdsprache sprechen, empfinden wir uns als Migrant:innen, nicht als „Expats“. Die Mehrheit von uns ist jetzt in Berlin zuhause. Und dafür haben wir hart gearbeitet!

Etappenziele zur Vergesellschaftung

Als »R2C-AG« haben wir haben die Außenwahrnehmung von »Deutsche Wohnen und Co. enteignen« nicht nur unterstützt, sondern nachhaltig geprägt.

Wir hatten das Ziel eine Struktur zu schaffen, in der sich die Menschen schnell und einfach engagieren und mitdiskutieren können. Unsere Willkommenskultur brachte viele kreative Köpfe zusammen und half der gesamten Kampagne. Unser Credo war, dass jede:r wertvolle Erfahrungen mitbringen kann. Daran anknüpfend, wollten wir gegenseitig unsere Talente und Ideen unterstützen und jedem Vorschlag offen und wohlwollend begegnen. Und wir wollten „Ja!“ sagen zu allen, die mit uns gemeinsam die Vergesellschaftung von Wohnraum voranbringen möchten.

Das Ziel mehr Menschen in die Initiative zu bringen, die nicht aus Deutschland kommen, hatten wir auch erreicht, wenn auch noch nicht in dem Ausmaß, wie wir es uns gewünscht hätten. Was das Engagement in DWE angeht, gibt es immer noch eine große Barriere zwischen Menschen, die die deutsche Sprache sprechen, und solchen, die sie nicht sprechen. Wir hoffen, dass wir mit unseren Erfahrungen und unserer Geschichte andere Kampagnen und politische Aktivist: innen unterstützen können und stehen dazu immer gerne für Austausch und Fragen zur Verfügung. Darüber hinaus arbeiten wir weiterhin auf die Vergesellschaftung von Deutsche Wohnen, Vonovia und Co hin und laden alle ein dies mit uns gemeinsam zu tun. Es liegt an uns allen, das ,Recht auf Stadt für alle‘ Wirklichkeit werden zu lassen.


Autor:innen

Right to the city for all AG


Titelbild und Bilder im Text

Fotos: © Ian Clotworthy


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