Editorial

Multiple Krisen? Multiples Weitermachen.

Es darf so nicht weitergehen. Da sind sich alle einig. Angesichts der viel beschworenen und sich quasi ständig erweiternden aktuellen multiplen Krisen, der Klimakatastrophe(n), Überschwemmungen und Waldbrände, schrecklichen Kriege, Teuerungen überall, massiv gestiegenen Wohnungsnot, zunehmender Antisemitismus, eine Verrohung der Migrationspolitik, nebst dem Siegeszug der AfD und rechter Inhalte on top of it all. Diese Themen sind durch Nachrichten und Social Media beinahe omnipräsent. „Doom-Scrolling“ ist zum bitteren Tagesgeschäft geworden. Aber es ist klar. Emanzipatorische Antworten, kluger Aktivismus und Solidarität sind jetzt gefragt wie nie. Gleichzeitig fühlen sich viele gelähmt und überwältigt. Wo sollen wir nur anfangen? Was können wir dem allen überhaupt entgegen halten? Sind stadtpolitische Aktionen gerade überhaupt zeitgemäß?

Es kann keine Antwort geben, nur Antworten. Natürlich können wir „von hier“ herzlich wenig tun, um Brände oder Kriege „woanders“ zu verhindern. Natürlich geht uns diese empfundene Hilflosigkeit manchmal so richtig an die Nieren. Aber wir können weitermachen, da wo wir sind. Wir können weiter lokal nach Lösungen suchen – und dabei weder die Probleme der Welt vergessen, noch glauben sie individuell verantworten zu müssen oder können. Wir können lokal Möglichkeiten erproben Stadt und Stadtgesellschaft emanzipatorisch und solidarisch zu gestalten. Wir können aus diesen lokalen Bewegungen heraus (und darüber hinaus) gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus aktiv werden und die Betroffenen unterstützen. 

Stadtpolitische Bewegungen sind eher lokaler Natur und beziehen sich oft auf konkrete Projekte und Ziele – aber in der Vernetzung mit anderen Gruppen, Projekten und Bewegungen können Verknüpfungen entstehen, die die Kämpfe miteinander verbinden und ihnen gemeinsam mehr Ausdruck und Kraft verleihen. Es gilt hier Probleme zusammenzudenken, aber lokal nach Lösungen zu suchen. In den 1990ern hat man dazu den Slogan „Think global – Act local“ benutzt und dabei vielmehr als nur konkrete Machbarkeit gemeint: Die Kämpfe hängen zusammen wenn sie emanzipatorische Lösungen voranbringen und Städte für alle schaffen wollen. Sie reagieren auf größere Zusammenhänge und Probleme, ohne die lokale Verankerung zu verlieren. Dafür ist die interlokale Vernetzung und der Austausch zwischen den Gruppen und Individuen zentral. Das versuchen wir auch hier in der Común zu unterstützen – aus der Bewegung und für die Bewegung.

In diesem Heft sind wieder viele Aktionen und Aktionsformen, Ziele und Projekte aus verschiedenen Städten und Gruppen zu finden, die euch vielleicht als Idee oder Inspiration dienen können. Der Schwerpunkt zum Thema „Beteiligung, Kooperation und Selbstorganisierung in der Stadtentwicklung“ liefert dieses mal ein Spektrum an Einsichten und Reflexionen in die schiere Vielfalt, Herausforderungen und Komplexitäten stadtpolitischer Arbeit. Auch in den anderen Beiträgen geht es ums Weitermachen. Weitermachen und weiter daran glauben, dass wir was ändern können. Auch wenn es sich manchmal vielleicht gerade nicht so anfühlt. Wir machen weiter, ob in Bremen, Freiburg, Hamburg, Belgrad, Graz oder Bochum. Denn es kann doch so wirklich nicht weitergehen. Oder?

Bleibt in Bewegung, im Netzwerk, am Ball – und lasst euch nicht unterkriegen!

Eure Redaktion


Titelillustration

Jot Vetter lebt in Hamburg und macht Zeichnungen, Bücher, Buchstaben aller Art, Comics und andere grafische Arbeiten: www.illustrationen.jetzt


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