Ein Häuschen mit Garten

Im Streit um das Einfamilienhaus lassen sich über die Wohnungsfrage hinaus die Themen Stadtpolitik, Klimapolitik und Geschlechtergerechtigkeit miteinander verknüpfen.

Rainer Midlaszewski

„Hach, das könnte schön sein, ein Häuschen mit Garten …“, sang der Schauspieler und Kabarettist Wolfgang Neuss 1958 als Räuber in der Filmkomödie „Das Wirtshaus im Spessart“. Auch der Räuber träumte vom Kleinbürger:innenglück des Einfamilienhauses. Das Häuschen mit Garten, in dem das erstrebenswerte Lebensmodell Kleinfamilie sein Zuhause finden sollte, war der Inbegriff eines bescheidenen Wohlstandes im „Wirtschaftswunder“ der Nachkriegszeit. Bis heute ist das Glücksversprechen des Einfamilienhauses ungebrochen. Und nicht nur das: Es ist aktueller denn je!

Als der Grünen-Politiker Anton Hofreiter Anfang 2021 in einem Interview die Entscheidung eines Hamburger Bezirks begrüßte, Einfamilienhäuser aus Bebauungsplänen auszuschließen, löste das eine emotional aufgeladene Debatte quer durch alle Parteien aus. Um im beginnenden Bundestagswahlkampf nicht als Verbotspartei wahrgenommen zu werden, relativierten die Grünen die Kritik Hofreiters am Eigenheim. Dabei ist schon lange unumstritten, dass der Bau von Einfamilienhäusern unter ökologischen und städtebaulichen Aspekten ein No-Go ist.

Ökologischer Unsinn und verräumlichte Geschlechterordnung

Der Wärmeverlust eines freistehenden Eigenheims und der Materialverbrauch beim Bau sind gegenüber dem Geschosswohnungsbau enorm. Rund 40 Prozent der weltweit emittierten Treibhausgase entstehen durch den Bau und Betrieb von Gebäuden. Hinzu kommt der überproportionale Flächenverbrauch von Einfamilienhäusern in Relation zu der Anzahl an Menschen, die Nutzen davon haben. Die Flächenversiegelung und die Zersiedelung der Landschaft durch Einfamilienhaussiedlungen gehen oft einher mit ihrer schlechten Anbindung an den ÖPNV und fehlender Infrastruktur. Das macht ein Auto notwendig und induziert Verkehr.

Rund zwei Drittel aller Wohngebäude in Deutschland sind Einfamilienhäuser. Und ihre Anzahl steigt. Auch wenn laut Daten des Statistischen Bundesamtes der Anteil der neu gebauten Wohnungen in Ein- und Zweifamilienhäusern seit 2005 sinkt, wurden im Jahr 2020 für 109.000 Wohnungen in diesen Gebäudetypen Baugenehmigungen erteilt. Das sind 38 Prozent aller in diesem Jahr genehmigten Wohnungen. Der dafür notwendige Flächenverbrauch entspricht in etwa der Ausdehnung einer mittleren Großstadt.

Die monofunktionale Raumaufteilung von Einfamilienhäusern – großes Wohnzimmer mit Küchenanschluss, Elternschlafzimmer und Kinderzimmer – qualifiziert sie nur als Zuhause für die typische Kleinfamilie und nur für einen bestimmten Lebensabschnitt. Sind die Kinder am Ende der Familienphase aus dem Haus, verliert diese Wohnform ihre Funktion. Die Eltern bleiben in einer viel zu großen Wohnung zurück. Auch der Glaube, nach Tilgung aller Kredite im Alter mietfrei wohnen zu können, ist trügerisch. Die individuelle Bindung an einen privaten Immobilienbesitz bleibt immer eine Belastung. Für den Fall, dass einmal das Dach oder die Heizung erneuert werden müssen, sind finanzielle Rücklagen unumgänglich.

Die „Rama-Frühstücksfamilien“, die uns heute aus den Werbeprospekten von Baugesellschaften oder Bausparkassen anlächeln, stehen ungebrochen für das gleiche Ideal der Kleinfamilie und die damit verbundene Wohnform Einfamilienhaus.

Die aus den 1950er und 1960er Jahren stammenden Werbebilder von der treusorgenden Hausfrau und Mutter, die gemeinsam mit den Kindern die Rückkehr des Familienvaters von der Arbeit erwartet und schon mal einen Kuchen gebacken hat, erscheinen uns wie aus einer weit entfernten Vergangenheit. Doch die „Rama-Frühstücksfamilien“, die uns heute aus den Werbeprospekten von Baugesellschaften oder Bausparkassen anlächeln, stehen ungebrochen für das gleiche Ideal der Kleinfamilie und die damit verbundene Wohnform Einfamilienhaus, deren Ordnung sich in Architektur und Stadtplanung einschreibt. Auch wenn sich die Zahl der erwerbstätigen Frauen erhöht hat, bleibt das Modell Familienernährer und Hausfrau aktuell. Die Teilzeitquote bei Frauen mit minderjährigen Kindern im Haushalt lag im Jahr 2019 bei 66,2 Prozent, bei Männern bei 6,4 Prozent.

Vom Biedermeier zur Suburbia

Die Kleinfamilie und das Einfamilienhaus entstehen zusammen mit der kapitalistischen Produktionsweise. Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts verlagert sich mit der beginnenden Industrialisierung die häusliche Produktion – etwa im Handwerk – in Manufakturen und Fabriken. Es findet eine Trennung von Arbeiten und Wohnen statt. Erwerbs- und Hausarbeit werden zu getrennten Bereichen: zu einem öffentlichen und einem privaten.

So entstehen zusammen mit den schnell wachsenden Industrien ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch die ersten Einfamilienhäuser – nämlich in Form von Werks- oder Zechensiedlungen. In diese Zeit fällt auch eine ideelle Aufwertung der Familie. Konservative Sozialreformer:innen und Industrielle übertragen das bürgerliche Modell der Kleinfamilie als erwünschter Lebensweise auf die entstehende Arbeiter:innenklasse: die Frauen als treusorgende Hausfrauen, die Männer als aktive Familienernährer und das „traute Heim“ als emotionaler Mittelpunkt des Familienlebens.

Dennoch dauert es rund 70 bis 80 Jahre, von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in die 1930er Jahre, bis sich die Kernfamilie als allgemeines gesellschaftliches Lebensmodell durchsetzt. Besonders die Familienpolitik der Nazis fördert dieses Lebensmodell. Nicht nur durch eine ideologische Aufladung der Mutterrolle, sondern auch mit konkreten sozialpolitischen Maßnahmen, wie zum Beispiel den Ehestandsdarlehen oder der Einführung des Kindergeldes 1936.

Die endlosen Einfamilienhaussiedlungen, die zersiedelten monotonen Vorstädte, die wir heute kennen, entstehen jedoch erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Das städtebauliche Leitbild der Nachkriegsmoderne, die funktionsgetrennte und autogerechte Stadt, ordnet den städtischen Raum neu, indem es Arbeiten, Wohnen, Bildung, Konsum und Freizeit voneinander trennt.

Der Traum vom Eigenheim ist heute angesichts der explodierenden Grundstücks- und Immobilienpreise nur für eine Schicht mit hohen Einkommen realisierbar. Genau um diese einkommensstarken Familien konkurrieren die Städte und bemühen sich, Bauland für Einfamilienhäuser bereitzustellen. Der oben genannte Hamburger Bezirk ist da eher die Ausnahme. Staatliche Förderprogramme, wie zum Beispiel das Baukindergeld, unterstützen den Erwerb von Wohneigentum und im Steuerrecht begünstigt das Ehegattensplitting die traditionelle Verteilung der Rollen von männlichem Familienernährer und dazuverdienender Hausfrau. Auch deshalb ist das Lebensmodell Kleinfamilie im Einfamilienhaus selbst im Jahr 2022 noch attraktiv. Und trotz einer heute großen Diversifizierung von Lebensweisen bleibt das klassische Familienmodell hegemonial und mit ihm die Übertragung des Großteils der Sorgearbeit auf die Frauen.

Das Wohnen organisiert das Leben: Alternativen

Es lohnt sich also, danach zu fragen, wie architektonische Entwürfe und städtebauliche Planung von Wohnungen und Wohnbauten daran beteiligt sind, die ungerechte Verteilung von Sorgearbeit zu organisieren, und was konkrete Alternativen dazu sein könnten. In vielen Wohnprojekten oder Baugruppen, die von einem eher akademischen, mittelständischen Milieu initiiert werden, spielt diese Frage nur selten eine Rolle. Auch sie fokussieren sich zumeist auf das klassische Familienmodell. Ein interessantes Gegenbeispiel ist die Züricher »Wohngenossenschaft Kalkbreite« (siehe Común #4: „Wir machen jetzt einfach mal“). Dort gibt es zum Beispiel Clusterwohnungen oder einen Großhaushalt – einen Zusammenschluss von Wohnungen, der über eine gemeinsame Küche mit angestellten Köch:innen verfügt. Auch eine Kindertagesstätte befindet sich im Haus.

Die Vorstellung in einem Großhaushalt zu leben ist für viele vermutlich eine große Herausforderung. Auch sehr radikale Konzepte von Vergemeinschaftung, mit denen zum Beispiel die israelischen Kollektivsiedlungen der Kibbuz-Bewegung in den 1950er und 1960er Jahren experimentierten, sind heute kaum noch denkbar. In einigen Kibbuzen wurden die Kinder in eigenen Kinderhäusern außerhalb der Familien betreut und die Familienstrukturen damit tendenziell aufgelöst.

Ein anders Konzept stellt das sogenannte Einküchenhaus dar, das Anfang des 20. Jahrhunderts von der Sozialdemokratin Lily Braun entwickelt wurde, um die Frauen von der Hausarbeit zu befreien. Innerhalb eines Mehrparteienhauses sollte eine zentrale Großküche mit bezahltem Personal alle Bewohner:innen versorgen und die Küche in jeder Wohnung ersetzen. Auch Services für die Kinderbetreuung und das Wäschewaschen waren vorgesehen. Das Konzept, die Hausarbeit als zu bezahlende Dienstleistung innerhalb eines Mehrparteienwohnhauses zu organisieren, wurde in Form einzelner privatwirtschaftlicher Modellprojekte zum Beispiel in Berlin oder Stockholm tatsächlich realisiert. Die Mehrheit der Sozialdemokrat:innen stand der Idee jedoch ablehnend gegenüber. So etwas wie eine Haushaltsgenossenschaft könne erst in einem Sozialismus der Zukunft umgesetzt werden.

Dass Haushaltsgemeinschaften auch im Hier und Jetzt möglich sind, zeigen Projekte wie die bereits oben beschriebene »Wohngenossenschaft Kalkbreite«. Ihre Finanzierung und die besondere Zusammensetzung ihrer Bewohner:innenschaft – eher akademisch, mittelständisch und nachhaltig konsumierend – sind als Gelingensbedingungen jedoch sehr voraussetzungsvoll. Auch für viele Milieus offene Alternativen könnten im Geschosswohnungsbau mit flexiblen Wohnungsgrundrissen bestehen, der mit Gemeinschaftsflächen und sozialer Infrastruktur – zum Beispiel einer Kindertagesstätte und eine Stadtteilkantine – kombiniert wird und im besten Falle eine funktionierende Nachbar:innenschaft initiiert.

Diese Alternativen zum Einfamilienhaus sind weder revolutionär noch utopisch, sondern ganz pragmatische Angebote, die aktuell zum Beispiel im geförderten Wohnungsbau in Wien schon umgesetzt werden oder im Bestand vieler Städte realisiert werden könnten.

Dennoch, die Kritik an der Hegemonie des Modells Kleinfamilie und seiner Raumwerdung als Einfamilienhaus bleibt trotz aller städtebaulichen, klima- und geschlechterpolitischen Argumente schwierig, weil sie persönliche Lebensentwürfe in Frage stellt und einer seit über 150 Jahren etablierten sozialen und architektonischen Praxis widerspricht. Zugleich bietet jedoch die Einmischung in die Auseinandersetzung um das Einfamilienhaus die interessante Möglichkeit, die Themen Stadtpolitik, Klimapolitik und Geschlechtergerechtigkeit produktiv miteinander zu verknüpfen.


Autor:innen

Rainer Midlaszewski ist Teil der Común-Redaktion und im Bochumer Netzwerk »Stadt für Alle« aktiv. Der Text basiert auf Recherchen und Vortragsmanuskripten, die im Kontext des Netzwerks entstanden. Beteiligt waren Doris Betsch, Kirsten Heining, Lina Heimrath, Susan Kowalski und Rebecca Sirsch.


Weiterlesen

sub\urban, Zeitschrift für kritische Stadtforschung 2017, 5, 3, Themenschwerpunkt: Stadt der Reproduktion, zeitschrift-suburban.de

Einküchenhaus – Reformmodell städtischer Wohnbebauung, umfangreicher und gut recherchierter Artikel auf Wikipedia

Común #4, 2020, »Wir machen jetzt einfach mal« – Von »bolo’bolo« zu »Neustart Schweiz« – Haushaltsgemeinschaften als kollaborative Commons

Arch+ Nr. 244, 2021, Wien – Das Ende des Wohnbaus (als Typologie)


Titelbild

Foto und Illustration: © Rainer Midlaszewski