„Eine Kommunalpolitik auf Augenhöhe“

Ein Interview mit Max Zirngast, Stadtrat für die KPÖ in Graz

September 2021: In Graz sind Kommunalwahlen. Mit 28,84 Prozent geht die KPÖ als stimmenstärkste Partei hervor. Im November wird Elke Kahr als erste Frau Bürgermeisterin von Graz und als erste Kommunistin Bürgermeisterin einer Landeshauptstadt. Das ist jetzt zwei Jahre her. Kannst Du ein erstes Fazit ziehen?

Die KPÖ sitzt seit 1945 durchgehend mit mindestens einem Mandat im Gemeinderat der Stadt Graz. Seit 1998 ist sie in der Stadtregierung. Graz ist eine Stadt, die mit Proporz regiert wird; das heißt, wenn eine Partei eine gewisse Stärke erreicht, hat sie auch als Opposition eine:n Vertreter:in in der Stadtregierung. Bis 2021 war die KPÖ mit 20 Prozent die stärkste Oppositionspartei mit Verantwortung und Ressorts, ab 2017 auch mit zwei Stadträten. Wir waren unter anderem für Gesundheit, Pflege und Verkehr und von 1998 bis 2017 für das Wohnungsressort zuständig. Ich möchte damit betonen, dass wir bereits Erfahrung in der Stadtregierung und eine Beziehung zur Stadtverwaltung hatten. Heute haben wir neben Gesundheit, Pflege, Wohnen auch das Sozialressort, Integration, Arbeit/Beschäftigung, aber vor allem auch den Bereich Finanzen, Beteiligungen und Personal, also ziemlich wichtige Aufgaben. Seit 2021 sind wir in einer Koalition mit den Grünen und der Sozialdemokratie (SPÖ). Die Sozialdemokratie ist auf der Landesebene in einer Koalition mit der ÖVP, den Konservativen. Sie ist oft der direkte Ansprechpartner und natürlich auch Gegenstand unserer Kritik, was Sozialpolitik, Wohnungspolitik etc. angeht. Und auf der Bundesebene sind die Grünen mit der ÖVP in einer Regierung. Die Landesebene und die Bundesebene in Österreich sind die politischen Ebenen, wo Gesetze gemacht werden und weichenstellende Entscheidungen getroffen werden, auch was die Budgetmöglichkeiten der Kommunen betrifft. Das ist keine einfache Situation. Trotzdem haben wir seit 2021 einiges erreicht.

Wir versuchen das Verständnis von Kommunalpolitik und kommunaler Verwaltung zu ändern. Das heißt, dass wir Bürger:innen nicht als Bittsteller:innen verstehen, sondern eine Kommunalpolitik auf Augenhöhe machen. Das Rathaus und städtische Institutionen, aber auch das Büro der Bürgermeisterin, stehen allen immer offen. Die Bürgermeisterin führt trotz ihres sehr dichten Terminkalenders immer noch ihre Sprechstunden durch. 

Was habt ihr sonst noch verändert oder erreicht?

Im Bereich Wohnungspolitik haben wir sehr vieles wieder rückgängig gemacht, was in den Jahren 2017 bis 2021, als das Ressort nicht in unserer Hand war, verschlechtert wurde. Wir haben städtische Unterstützungsmöglichkeiten ausgeweitet und auch im Jahr 2022 die Mieten in den kommunalen Wohnungen nicht angehoben, obwohl das landesweit der Fall war. Erst dieses Jahr wurden sie hier etwas angehoben, aber nur um 2 Prozent.

Wir haben Hilfestellungen und freiwillige Sozialleistungen der Stadt Graz ausgeweitet. Zusätzlich zu den staatlichen Sozialleistungen gibt es hier zum Beispiel die Sozialcard. Dieses Angebot haben wir ausgeweitet und den Zugang dazu niederschwelliger und unbürokratischer gestaltet. Zum Beispiel: Eine Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr kostet in Graz mit der Sozialcard nur 50 Euro. Es gibt Unterstützung für Eltern, Schul- und Weihnachtsgeld, es gibt freien oder sehr günstigen Eintritt in Kunst- und Kultureinrichtungen, Freibäder und dergleichen mehr. Der Bezieher:innenkreis wurde außerdem ausgeweitet. Er umfasst nun nicht mehr nur Menschen, die arbeitslos sind oder Mindestpension beziehen, sondern auch Menschen, die arbeiten, aber ein geringes Einkommen haben. Außerdem haben wir 2023 wesentliche Schritte beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs getan, trotz einer schwierigen budgetären Situation. 

Was glaubt ihr war ausschlaggebend für euren Wahlerfolg 2021?

Ausschlaggebend war, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Gerade als kommunistische Partei kann man das nicht mit einem einzigen Wahlkampf, sondern nur durch jahrelange Präsenz vor Ort. Wenn man der Bevölkerung nicht nur sagt, dass man ein anderes Politikverständnis hat, sondern es auch beweist, dass man Politik nicht als Selbstbedienungsladen oder Zweck, um Posten, Einfluss oder Macht für sich selbst zu bekommen versteht, sondern als Ehrenamt und Dienst an der Gemeinschaft. Also weder für Privatinteressen noch für das Kapital, noch für die Reichen und Mächtigen. 

„Kommunistisch“ ist so ein großer Begriff – das schreckt bestimmt auch viele ab.

Wir werden immer wieder gefragt, warum wir uns nicht umbenennen, ob das nicht einfacher wäre, wenn wir uns Linkspartei nennen würden. Was ich inzwischen einigermaßen skurril finde, wenn man sich anschaut, wie es der Linkspartei in Deutschland geht und wie uns. Nur, weil wir uns immer noch „kommunistische“ Partei nennen, heißt das nicht, dass wir blind sind gegenüber den Fehlern der Vergangenheit oder gegenüber all dem, was im Namen des Kommunismus angerichtet wurde. Es heißt aber auch, dass wir die positive Seite der Geschichte unserer Bewegung nicht verleugnen. In Österreich war die kommunistische Partei bei Weiten die größte organisierte Widerstandsbewegung gegen den Nationalsozialismus und Gründungspartei der zweiten Republik (nach 1945).

Was bedeutet „kommunistisch“ für euch als Grazer Gemeinderäte?

Wir glauben, dass eine massive Verbesserung der Gesellschaft nur in einer Überwindung des Kapitalismus möglich ist. Als kommunistisch verstehen wir auch, dass wir keine Vertretungspolitik machen, sondern, dass wir permanent auf der Seite der Menschen sind und sie dazu ermächtigen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Nur gemeinsam ist es möglich eine andere Gesellschaft aufzubauen.

Ihr gebt einen Teil eures Gehalts ab, um andere Dinge davon zu finanzieren, zum Beispiel wenn jemand in einer Notlage ist. Wie genau funktioniert das?

Die Gehaltsobergrenze hat eine lange Tradition in der kommunistischen Bewegung. Sie war eine Forderung der Pariser Kommune, es gab sie bei den Bolschewiki und beispielsweise bei der chilenischen und bei der italienischen kommunistischen Partei. In der deutschen Linkspartei nicht, was wiederum zeigt, wie sinnvoll es ist an so etwas festzuhalten (lacht). Das Prinzip der Sozialunterstützung ist relativ unspektakulär. Wir setzen als Partei einen Betrag fest, den hauptamtliche Funktionäre, die ein Gehalt beziehen, als Bürgermeister:in, Stadträt:innen, als Landtags- oder Nationalabgeordnete (die wir noch nicht haben), verdienen dürfen. Alles darüber wird an Menschen in Notlagen zurückgegeben. Es geht um einmalige Zahlungen von ein paar Hundert Euro, um zum Beispiel offene Stromrechnungen, Heizkosten oder die Miete bezahlen zu können, um so eine drohende Delogierung, also Räumung, abzuwenden. Das Geld wird nicht einfach herumgeschmissen, sondern wir sprechen mit diesen Menschen über ihre Probleme und Sorgen.

„Das Wichtige ist, dass man die Probleme der Menschen zu seinen eigenen Problemen macht.“

Auch jenseits von finanzieller Unterstützung versuchen wir Lösungswege aufzuzeigen. Gibt es zum Beispiel eine Möglichkeit eine Wohnung zu bekommen, die ungefähr gleichwertig ist, aber weniger kostet? Das Wichtige ist, dass man die Probleme der Menschen zu seinen eigenen Problemen macht und auf Augenhöhe mit ihnen versucht, Lösungen zu finden. Die Bürgermeisterin bekommt ein Gehalt in Höhe von 8.300 € netto monatlich, vergibt aber alles bis auf 2.000 € an die Bevölkerung, um in Notlagen zu helfen. Sie überweist das den Leuten von ihrem persönlichen Konto.

Wir sind dabei sehr transparent. Einmal im Jahr gibt es einen »Tag der offenen Konten«, wo alle, die möchten, auch Einsicht nehmen können, was finanziert wurde. 

Das Thema Wohnen bearbeitet ihr schon lange in eurem Ressort und wahrscheinlich ist das auch ein zentraler Grund, warum ihr das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen konntet. Wie geht ihr dieses Thema an?

Das Thema Wohnen und Mieten haben wir schon seit den 1980er Jahren bearbeitet. Ab den 1990ern gab es den Mieternotruf, per Unterschriften und politischen Initiativen erkämpften wir den Kautionsfonds und dass in städtischen Wohnungen niemand mehr als ein Drittel des Haushaltseinkommens für Miete ausgeben muss. Alles was darüber liegt, wird von der Stadt beglichen. Ab 1998, als Ernst Kaltenegger Stadtrat war, wurde das Wohn-Ressort erst wirklich aufgeräumt. Vorher war es eher stiefmütterlich behandelt worden. In den frühen 2000ern hatten die meisten Parteien die Idee, die bestehenden Gemeindewohnungen zu verkaufen, wie das etwa in Berlin passiert ist. Eine Unterschriften-Initiative der KPÖ, mit der eine Volksbefragung erkämpft wurde, hat dann sehr deutlich für den Erhalt der städtischen Wohnungen entschieden. Heute traut sich niemand mehr in Frage zu stellen, dass es städtische Wohnungen gibt und auch neue gebaut werden. In den 1990er Jahren waren viele Gemeindewohnungen noch Substandard, mit Bad oder Toilette im Gang. „Ein Bad für jede Gemeindewohnung, auch das ist Kultur“ war ein Slogan 2003, als Graz europäische Kulturhauptstadt war. Aus dem Budget des Kulturjahrs wurden Sanierungen bezahlt.

Gerade haben wir eine Petition an die Lands- und Bundesregierung laufen: „Mietenstopp jetzt!“ Es soll eine Mietpreisobergrenze geben, also einen Mietendeckel. Zentral ist die Ausweitung des öffentlichen Wohnraums, Mietpreisobergrenzen und ein modernes Mietrechtsgesetz.

Wie steht es um die Wohnraumversorgung in Graz?

Graz hatte seinen Bevölkerungstiefstand in den frühen 2000er Jahren. In den letzten 20 Jahren zogen jedoch circa 80.000 Personen in die Stadt. Heute leben hier rund 300.000 Menschen. Der Bedarf an Wohnraum ist damit natürlich gestiegen. Die Grundstücks- und Mietpreise sind auch massiv gestiegen. Was die Anzahl von gemeindeeigenen Wohnungen betrifft, hat Graz relativ wenig im Vergleich zu Wien. Eine traditionell sozialdemokratische Stadt, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts umfangreiche öffentliche Wohnbauprogramme hatte. Und auch nach den Zweiten Weltkrieg wurde in Wien der Grundstein gelegt, so dass der Anteil an öffentlichen Wohnungen dort sehr viel größer ist als in Graz. Graz hat keine starke sozialdemokratische Tradition – im Gegenteil – und deshalb immer noch einen relativ geringen Anteil an gemeindeeigenen Wohnungen. Also mit Wohnungen im Besitz der Stadt und Wohnungen in Genossenschaftsbesitz und mit Zuweisungsrecht der Stadt sind wir circa bei 10 Prozent des gesamten Wohnungsmarktes. Zum Vergleich: Linz oder Wien haben 40 bis 60 Prozent.

Was ist zurzeit eure größte politische Herausforderung?

Das ist sicher die budgetäre Situation. Von der vorherigen Regierung haben wir kein sonderlich rosiges Budget übernommen. Zum anderen ist die Stadt Graz beim Finanzausgleich zwischen Kommunen, Ländern und Bund strukturell benachteiligt. Auch im innersteirischen Finanzausgleich mit dem Land sind wir mit Schwierigkeiten konfrontiert. Zudem sind die letzten vierzig Jahre neoliberaler Politik sehr zu Lasten der Kommunen gegangen.

Gibt es irgendwas, was ihr jetzt in der restlichen Amtsperiode auf jeden Fall noch erreichen wollt? Was sind die Ziele, die ihr euch gesetzt habt?

Wir werden oft dafür kritisiert – natürlich von den anderen Parteien, zum Teil auch von den Medien –, dass wir keine großen Visionen hätten. Wobei sie dann meistens nicht sagen, was sie mit großen Visionen meinen. Wahrscheinlich sehr große Projekte, die von zweifelhaftem Nutzen für die große Mehrheit der Bevölkerung, aber natürlich sehr gut fürs Kapital sind. Da gab es in Graz einige Ideen.

Zum Beispiel?

Graz bewarb sich als Ort der olympischen Winterspiele 2026. Und es gab die Idee eine U-Bahn in Graz zu bauen, deren Kosten-Nutzen-Verhältnis für die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs eher zweifelhaft war. Oder eine innerstädtische Gondel auf einen Berg im Stadtgebiet. Das sind alles Sachen, von denen einige wenige profitieren würden und die dafür ein riesiges Loch in das städtische Budget gerissen hätten.

Was ist dann eure Vision?

Eine Kommune, die die Menschen ernst nimmt und sich vor allem um die Daseinsvorsorge kümmert. Das heißt, dass es möglichst viel kommunalen Wohnraum gibt, ein breites Angebot an Kunst, Kultur und Sport, dass öffentlicher Raum da ist, der auch ohne Konsumzwang genutzt werden kann, dass Kanalisation und Wasserleitungen funktionieren, dass es genug Radwege gibt, öffentlichen Verkehr, dass die Schulinfrastruktur steht und der Schulweg sicher ist. Ein konkretes Beispiel: Die Kläranlage von Graz ist höchst sanierungsbedürftig. Der vorherige Bürgermeister ist das nicht angegangen, vermutlich weil es nicht gut zu verkaufen ist. Dabei ist den meisten Leuten eh klar, dass eine Kommune das machen muss. Diese Aufgaben, die eine Kommune machen muss, um ein gutes Leben für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt sicherzustellen, sind oft vernachlässigt worden.


Interview

Das Interview führte Kathi King aus der Común-Redaktion.


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Illustrationen

Sonja Glock


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