Kooperation braucht Organisierung

Reflexion eines Versuchs, das Dragonerareal in Berlin-Kreuzberg kooperativ zu entwickeln

Ehemalige Initiative »Stadt von Unten«, Berlin

Die Kritik an Beteiligungsformaten, der Kampf um Mitentscheidung bei städtischen Entwick­lungsprojekten, die Aneignung und Durchsetzung selbstorganisierter Planung als Mittel einer Stadtentwicklung von unten – all dies ist so alt wie die Recht-auf-Stadt-Bewegung selbst. Die seit über zehn Jahre andauernde Auseinandersetzung um das sogenannte Dragonerareal in Berlin-Kreuzberg zeigt, was in diesen Kämpfen zu gewinnen ist. Das Dragonerareal ist ein 4,7 Hektar großes Gelände mitten in Kreuzberg. Die denkmalgeschützten Gebäude der in den 1850er Jahren erbauten Dragonerkaserne und andere Bauten auf dem Gelände wer­den von kleinen Handwerksbetrieben, einem Nachtclub, zwei Supermärkten und einer Taxi-Schule genutzt. Daneben gibt es weitgehend versiegelte Freiflächen, die eine weitere Be­bauung möglich machen. Die geplante Privatisierung des bundeseigenen Geländes durch die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben wurde durch zivilgesellschaftlichen Widerstand abgewendet und stattdessen ein kooperativer Planungsprozess etabliert. Die Gewerbetrei­benden werden nicht verdrängt, hunderte Sozialwohnungen sollen gebaut und die Grundstücke in Erbbaurecht vergeben werden. Ein selbstorganisierter »Kiezraum« als Ort für die Nachbarschaft hat eröffnet. Doch Kooperation findet dort ihre Grenzen, wo die Organisationsmacht der Nutzer:innen, der zukünftigen Bewohner:innen und der Nachbar­schaft bröckelt.

Schon zu Beginn der Kooperation haben wir in der ersten Ausgabe der Común (2019) einige Fallstricke kooperativer Stadtentwicklung beschrieben: die Schwierigkeit, Öffentlichkeit für einen unübersichtlichen und vielschichtigen Kooperationsprozess herzustellen; die damit verbundenen hohen Ansprüche für ehrenamtlich arbeitende Initiativen und der daraus er­wachsende Druck, sich zu professionalisieren; die schwierige Balance zwischen Nähe und Distanz zu Politiker:innen und Verwaltungsmitarbeitenden, mit denen man zusammen arbei­tet, die man aber auch unter Druck setzen möchte; allgemein die Schwierigkeit, gleichzeitig in einer kooperierenden und in einer konfrontativen Logik zu handeln; die Frage der eigenen Legitimität und der Stellvertretung von bestimmten Interessen.

Vier Jahre später – und nach der Auflösung unserer Initiative vor etwa einem Jahr – wollen wir auf unsere damalige Zwischenbilanz zurückblicken und reflektieren, wie wir damit umge­gangen sind beziehungsweise damit hätten umgehen sollen. Nicht, um uns oder anderen an der Kooperation Beteiligten Vorwürfe zu machen, sondern in der Hoffnung, dass andere Initiativen auf unseren Erfahrungen aufbauen können.

Begraben in der Kooperation

Im Juni 2019 hatten wir als Teil des »Vernetzungstreffens Rathausblock«, dem Zusammen­schluss verschiedener zivilgesellschaftlicher Initiativen, die rund um das Dragonerareal aktiv sind, eine Kooperationsvereinbarung zur modellhaften Entwicklung des gleichnamigen Sa­nierungsgebiets in Berlin Kreuzberg unterzeichnet. Diese Vereinbarung war Ergebnis eines langen Aushandlungsprozesses mit dem Berliner Senat, der Bezirksverwaltung, der stadteigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) als Eigentümerin und der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM), die den Großteil der geplanten Wohnungen auf dem Areal bauen soll. Gemeinsam mit unseren Mitstreiter:innen haben wir ein erhebliches Maß an politischer Mitbestimmung und zahlreiche unserer Forderungen in die Vereinbarung hinein verhandelt. Von da an galt es, die erkämpften Spielräume in neu geschaffenen Gremien, wie dem »Zukunftsrat«, den Arbeitsformaten sowie den zu erzielenden Projektvereinbarungen mit Leben zu füllen und unsere „100%-Forderungen“ – 100% der Gewerbetreibenden sollen bleiben, 100% Mieten, keine Eigentumswohnungen, 100% wirklich bezahlbare Mieten, 100% dauerhaft abgesicherte Mieten, 100% Teilhabe – auch durchzusetzen. Manches ist dabei gelungen, vieles aber auch nicht.

Wir wurden eher weniger Aktive als mehr, Lohn- und Reproduktionsarbeit zehrten zusätzlich an unseren Kräften.

Ein wesentlicher Grund lag in der Struktur unserer Initiative selbst. Wir waren eine für die Mieten- und Recht-auf-Stadt-Bewegung recht typische aktivistische Kleingruppe, die ihre politischen Inhalte als Forderungen formuliert, dafür mobilisiert, Bündnisse eingeht und ge­genüber staatlichen Stellen lobbyiert. Diese Praxis war im Kampf gegen die Privatisierung äußerst effektiv – das Land Berlin hat das Gelände vom Bund zurückgekauft und 2016 zum Sanierungsgebiet erklärt. Doch schon mit Eintritt in die damit verbundene erste Beteiligungs­phase hat sich unser Organisationsmodell als brüchig erwiesen. Die nun anstehenden Fra­gen wurden vielfältiger und komplizierter, Konflikte über zukünftige Nutzungen nahmen zu, die öffentliche Aufmerksamkeit und damit auch unsere Mobilisierungsfähigkeit nahm ab. Die nun immer häufiger nötigen politischen Rückkoppelungen sowie die Diskussion um unsere Strategie und um neue Wege zur Stärkung unserer Selbstorganisierung haben uns zunehmend überfordert. Die Komplexität unserer Debatten hat neue Interessierte meist abgeschreckt und so eine hohe Hürde für den Einstieg bei »Stadt von Unten« gesetzt. Wir wurden eher weniger Aktive als mehr, Lohn- und Reproduktionsarbeit zehrten zusätzlich an unseren Kräften.

So fehlte es uns – wie auch anderen Gruppen – letztlich an Organisationsmacht, das heißt, an der Fähigkeit als Gruppe zu wachsen, damit mehr Handlungsfähigkeit aufzubauen und weitere Unterstützer:innen beziehungsweise noch größeren Rückhalt für unsere Forderungen in Nachbarschaft und Stadtgesellschaft zu gewinnen. Es erwies sich als schwer, innerhalb der von uns erkämpften Kooperationsstrukturen ein zivilgesellschaftliches Gegenüber zu bilden, das mit den staatlichen Akteuren – Senat, Bezirk, BIM und WBM – auf Augenhöhe agieren und auch Konflikte hätte eingehen können.

Organisierung in Ansätzen

Dabei hatte unsere Arbeit durchaus organisierende Momente, etwa während der vorbereiten­den Untersuchungen zum Sanierungsgebiet, als der Bezirk über Informationsveranstaltun­gen und Workshops versuchte von jeweils einzelnen Anwohner:innen und Betroffenen Be­darfe und Problemlagen einzusammeln. Da es uns immer darum ging, kollektive und politi­sche Forderungen aufzustellen, haben wir im April 2016, kurz vor Abschluss dieser Untersu­chungen, zu einer Nachbarschaftsversammlung eingeladen. Gemeinsam mit fast einhundert Nachbar:innen haben wir dort eine Erklärung formuliert, die wir in das abschließende Beteili­gungsformat des Bezirks hineingetragen und anschließend auch als Plakat in der Nachbar­schaft verteilt haben. Die Forderung nach dem oben erwähnten »Kiezraum« wurde dort zum ersten Mal formuliert und, ebenso wie die „100%-Forderungen“, von da an gemeinsam ver­treten.

Wir hatten die Selbstorganisationsfä­higkeit der eher akademisch geprägten Hausprojektgruppen überschätzt.

Auch unser Versuch, künftige Nutzer:innen anzusprechen, um in die „Projektvereinbarung Wohnen“ hineinzuwirken, war vom Gedanken getragen, kollektiv politische Forderungen zu stellen, anstatt Einzelinteressen mit Macht in den Prozess zu tragen. In der Projektvereinba­rung sollte festgelegt werden, wie die auf dem Gelände entstehenden drei unterschiedlichen Wohnungskategorien vergeben werden sollten. Für die Vergabe der Grundstücke an kollekti­ve Wohnungsbauträger, wie Genossenschaften oder das Mietshäusersyndikat, ebenso wie für die Vergabe der Sozialwohnungen im kommunalen Neubau sollten transparente, zugäng­liche und diskriminierungsfreie Verfahren entwickelt werden. Vor allem aber sollte etwas gänzlich Neues entstehen: die Möglichkeit zum gemeinschaftlichen Wohnen im kommunalen Wohnungsbau. Auch dafür bedurfte es eines Vergabeverfahrens. Während Hausprojektgrup­pen bereits ihre individuellen Bedarfe angemeldet hatten, fehlte eine Stimme, die für verall­gemeinerbare Kriterien für die Vergabe an Wohnprojektgruppen eintrat. Auch die gebildete Dachstruktur »Gewisel« artikulierte keine Idee eines solchen Vergabeverfahrens. Aus unserer Sicht waren solche Kriterien aber zentral, um den Zugang zu den entstehenden Wohnungen nicht auf diejenigen zu beschränken, die ihre Interessen selbst gut vertreten können – in der Regel Akademiker:innen aus der Mittelschicht. Doch es ist uns nicht gelun­gen aus den interessierten Hausprojektgruppen einen solchen Akteur zu formen, da wir nicht konsequent einen organisierenden Ansatz verfolgten. Wir hatten die Selbstorganisationsfä­higkeit der eher akademisch geprägten Hausprojektgruppen überschätzt, die nach und nach aus der Formulierung der Kooperationsvereinbarung ausstiegen. Auf die Schwierigkeit, zu­künftige Sozialmieter:innen zu organisieren, die weder die Zeit noch die Ressourcen haben, sich über Jahre in einen Prozess mit unsicherem Ausgang einzubringen, haben wir keine Antwort gefunden. Am Ende hatten wir mit viel Mühe und unter großen Konflikten zwar einen sinnvollen Vorschlag der Projektvereinbarung für die zivilgesellschaftliche Seite erarbeitet, aber es gab niemanden mehr, der inner- oder außerhalb der Kooperation Druck für seine Durchsetzung machte.

Organisationale Trennung statt eierlegende Wollmilchsau?

Daraus den Schluss zu ziehen, dass Kooperation mit Politik und Verwaltung prinzipiell zum Scheitern verurteilt sein muss und jegliche Professionalisierung notwendigerweise zur Schwächung aktivistischer Strukturen führt, halten wir im Rückblick jedoch für falsch. Das Problem war vielmehr, dass wir immer alles machen wollten und dabei als Gruppe keine Entscheidung über unsere Strategie getroffen hatten. Wirken wir im Kooperationsprozess mit – und wenn ja, wen vertreten wir darin? – oder organisieren wir künftige Nutzer:innen des Geländes und entfernen uns damit vom Kooperationsprozess?

Wir haben verschiedene Ideen diskutiert: die Gründung eines „Mieter:innenrats“ aus aktuel­len und zukünftigen Nutzenden, eine organisierende Kampagne für einen Kiezraum, um Or­ganisationen und Initiativen aus der Nachbarschaft in dessen Trägerschaft einzubinden oder auch eine arbeitsteilige Trennung der beiden Pole Organisierung und Kooperation innerhalb unserer Initiative. Wir sind immer wieder davor zurückgeschreckt solche Ideen konsequent umzusetzen. Es schien uns zu aufwändig. Wir fürchteten, unsere Schlagkraft als aktivistische „Push-Gruppe“ zu verlieren und uns im Ergebnis selbst zu schwächen. In der konkreten Ent­wicklung des Areals ist uns diese Entscheidung auf die Füße gefallen.

Die beschriebenen Probleme waren uns während des Kooperationsprozesses durchaus be­wusst. Wir haben es aber als Ressourcenproblem und nicht als Problem unserer eigenen Organisationsform diskutiert. Einige von uns haben versucht, den unvermeidlichen Mangel an Zeit, Geld und Expertise mit der Gründung der »ZusammenStelle« zu beheben, einer professionellen Struktur mit vom Bezirk bezahlten Stellen zur Unterstützung der kooperieren­den Initiativen. Doch dieser Versuch änderte wenig am Zwiespalt zwischen kooperierender und konfrontierender Logik. Im Gegenteil, die Probleme der „Verexpertisierung“, der fehlen­den Transparenz und der Beißhemmung gegenüber Politik und Institutionen verschärften sich noch. Außerdem zeigte sich auch hier unser mangelnder Fokus auf Organisierung und Organisationsstrukturen. Anstatt einen neuen Verein als Träger der »ZusammenStelle« zu gründen und darin demokratische Strukturen zu etablieren und mit Leben zu füllen, haben wir auf einen existierenden Verein ohne solche Strukturen zurückgegriffen.

Trennen, um zu gewinnen

Im Nachhinein stellt sich die Frage, ob stattdessen eine organisatorische, arbeitsteilige Tren­nung zwischen Kooperation einerseits und Organisierung anderseits sinnvoll gewesen wäre. Jede Gruppe hätte sich klar auf eine Strategie und eine Handlungslogik fokussieren können, statt interne Konflikte darüber zu führen. So wäre auch ein klareres Auftreten gegenüber an­deren Akteuren im Prozess möglich gewesen und beide Gruppen hätten es leichter gehabt, neue Aktive zu gewinnen und andere gesellschaftliche Gruppen einzubinden.

Natürlich hätte eine solche Trennung auch neue Konflikte hervorgebracht. Wie können beide Teile abgestimmt agieren? Wie müsste ein Umgang mit unausweichlichen Konflikten ausse­hen? Dafür müssten von Anfang an Austauschformate und strukturelle Brücken mitgedacht werden. Aber das Potenzial, mit zwei strategisch klar aufgestellten Strukturen gleichzeitig Druck von außen aufzubauen und innerhalb der Kooperation Allianzen zu schmieden und stadtplanerische Lösungen zu entwickeln, wäre riesig. Kooperation braucht Organisierung, ohne beides miteinander zu vermischen. So – denken wir heute – hätten wir eine größere Chance, Kämpfe um eine Stadt von unten zu gewinnen.


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Zum Konflikt im Detail: „Auskooperiert – Warum Stadt von Unten das Kooperationsverfahren zum Dragonerareal verlässt“ (2021)


Titelillustration

© Rainer Midlaszewski


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