Macht Bonn mit?

Ist das Bonner Modell der Bürger:innenbeteiligung ein Best-Practice-Beispiel dafür, wie Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung sich gemeinsam in Richtung einer kooperativen Demokratie bewegen können?

Die Stadt Bonn gilt bundesweit als vorbildlich im Bereich Bürger:innenbeteiligung. Eine Beteiligung, die deutlich über die reine Information und das unverbindliche Einsammeln von Kommentaren oder Anregungen hinausgeht, ist fester Bestandteil der Rats- und Verwaltungsstruktur.

Es gibt das sogenannte Partizipationsportal »Bonn macht mit«, eine Website, auf der Vorhabenlisten und Beteiligungsangebote veröffentlicht werden. Im Rahmen der »Leitlinien für Bürgerbeteiligung« wurde schon 2016 der »Beirat Bürgerbeteiligung« installiert, der Empfehlungen zur Vorbereitung und Umsetzung von Beteiligungsverfahren erarbeitet. Er ist das vorberatende Gremium des »Ausschusses für Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger«, der wiederum Teil des Rates der Stadt Bonn ist. Es gibt komplexe Beteiligungsprozesse, wie zum Beispiel die Bonner Klimaforen »Bonn4Future«, bei denen es darum ging, zu erarbeiten, wie die Stadt bis 2035 klimaneutral werden kann. Hier wurden sogar finanzielle Ressourcen von der Stadt zur Verfügung gestellt und Projektstellen geschaffen.

Julia Schenkel ist Stadtverordnete der Bonner Linksfraktion, Mitglied im Ausschuss für Beteiligung und Sprecherin für Bürger:innenbeteiligung. Dr. Alexandra Leipold ist für die Linksfraktion als sachkundige Bürgerin im Ausschuss für Beteiligung und Mitglied des »Beirats Bürgerbeteiligung«. Im E-Mail-Interview berichten sie gemeinsam über die Möglichkeitsräume, aber auch über Hürden und Grenzen der Bonner Beteiligungsstrukturen.

Von außen betrachtet scheint das Zusammenwirken der unterschiedlichen Gremien, Plattformen und Verfahren der Bonner Bürger:innenbeteiligung recht komplex. Könnt ihr – vielleicht an einem einfachen Beispiel – erläutern, wie die Beteiligung funktioniert?

Im »Beirat Bürgerbeteiligung« werden zunächst Beteiligungsverfahren behandelt. Er setzt sich zu gleichen Teilen aus Mitgliedern der Stadtverwaltung, Bürger:innen und Vertreter:innen der Politik zusammen. Alle Vorhaben werden hier durch die jeweiligen Fachämter vorgestellt, etwaige Rückfragen zur Form der Beteiligung beantwortet und – bei Bedarf – diskutiert. Dabei spielen in diesem Gremium, anders als im Ausschuss, inhaltliche Fragen keine Rolle, sondern es geht lediglich um die Form der Beteiligung: Eine komplexe Beteiligung bedeutet, dass das federführende Fachamt den Beteiligungsprozess in enger Zusammenarbeit mit der »Koordinierungsstelle Bürgerbeteiligung« und dem »Beirat Bürgerbeteiligung« konzipiert, realisiert, dokumentiert und evaluiert. Komplexe Beteiligungsverfahren werden bei Vorhaben durchgeführt, die das Interesse einer Vielzahl von Einwohner:innen oder ein besonderes Interesse der Stadtgesellschaft berühren. Beispiele für komplexe Verfahren sind solche im Zusammenhang mit Fragen zum städtischen Haushalt und zu großen Bauplanungsvorhaben oder Verfahren zu wichtigen Zukunftsthemen.

Im »Ausschuss für Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger« werden dann darüber hinaus individuelle Bürger:innenanträge mit diversen Anliegen behandelt, zum Beispiel Barrierefreiheit in Schwimmbädern, Geschwindigkeitsbegrenzungen oder Straßenumbenennungen. Es gibt nicht nur eine hohe Anzahl an Anträgen, sondern auch eine enorme Diversität der Wünsche und Anfragen der Bürger:innenschaft an Verwaltung und Politik. Denn: Das Angebot und die Bekanntheit von Beteiligungsformaten in Bonn führt natürlich auch dazu, dass sich viele Bürger:innen aktiv einbringen – und das finden wir auch gut so!

Der Ausschuss setzt sich aus Vertreter:innen der Politik und wenigen Mitgliedern mit beratender Funktion zusammen. Je nach politischer Konjunktur wird manchen Anträgen mehr Raum gegeben als anderen. So wird einem Bürger:innenantrag auf Erweiterung von Parkplatzraum in der Innenstadt unter konservativen Mehrheiten sicherlich mehr Gehör geschenkt als dem Antrag eines gemeinnützigen Vereins, der sich für das Aufstellen von Sitzmöglichkeiten oder das Pflanzen eines Baumes starkmacht. Da wir in Bonn derzeit jedoch eine progressive Mehrheit haben, ist der Fokus ein anderer und insbesondere Anträge auf Barrierefreiheit, Partizipation und im Rahmen der Klimapolitik werden intensiv beraten und oftmals auch angenommen.

Die Fachverwaltung gibt im Zuge der Bürger:innenanträge auch Stellungnahmen ab, sodass die politischen Vertreter:innen im Ausschuss fachliche Einschätzungen erhalten, an denen sie sich orientieren können. Das kann hilfreich sein, jedoch werden oftmals auch Bürger:innenanträge für „erledigt mit Stellungnahme“ erklärt, woraus folgt, dass der Antrag keine weiteren Konsequenzen hat und auch die Kommunikation mit der antragstellenden Person im Sande verläuft.

„Die Vielfalt, die es bräuchte, um die Stadtgesellschaft eins zu eins widerzuspiegeln, gibt es oftmals nicht.“

Es scheint also doch voraussetzungsvoll zu sein, hier einen Antrag erfolgreich durchzubringen. Wer beteiligt sich denn überhaupt und wer nicht? Wer fehlt hier möglicherweise auch?

Die Prozesse sind nachvollziehbar und werden auch transparent dokumentiert. Dennoch finden wir die Hürden zur Beteiligung recht hoch. Aufgrund der komplexen Begrifflichkeiten und des fachlichen und bürokratischen Wissens, das man als Grundvoraussetzung benötigt, beteiligen sich häufig nur Bürger:innen mit hohem Bildungsgrad oder aus wirtschaftlich bessergestellten Milieus. Die Vielfalt, die es bräuchte, um die Stadtgesellschaft eins zu eins widerzuspiegeln, gibt es oftmals nicht. So fehlt es aus unserer Sicht eindeutig an migrantischen Stimmen und an der Partizipation der unteren sozialen Klassen. Um diese zu erreichen und mehr vielfältige und demokratisch nachhaltige Beteiligung zu ermöglichen, braucht es mehr Zugang zu ihr. Die Information, dass Beteiligung möglich ist, muss raus in die Stadtteile, es braucht vielfältige und mehrsprachige Kommunikation und neue, lockere Beteiligungsformate, die zu Ende gedacht werden und auch erfolgversprechend sind, das heißt tatsächlich spürbare Veränderungen schaffen.

Werden denn die Vorschläge aus der Zivilgesellschaft ernst genommen, aufgegriffen und tatsächlich umgesetzt? Oder funktioniert die Bonner Bürger:innenbeteiligung allenfalls als kleines Korrektiv? Welche Erfahrungen macht ihr mit Entscheidungen, bei denen es nicht nur um einen Straßennamen geht, sondern etwa um die Vergabe von städtischen Grundstücken an Investor:innen oder ähnliche „harte“ Vorhaben?

Die rege Beteiligung im Rahmen großer Bürger:innenbeteiligungsverfahren wie zum Beispiel »Bonn4Future – Wir fürs Klima« zeigt durchaus, dass Anliegen und Partizipation von Bürger:innen ernst genommen werden. Allerdings erreicht der Aufruf zur Beteiligung manchmal auch nur gewisse Teile der Stadtgesellschaft, die Interesse am Thema haben und es für notwendig erachten, sich an dem Prozess der „klimaneutralen Stadt“ bis 2035 zu beteiligen. Daher stellt sich natürlich immer die Frage, wer mit welchen Formaten zu welchem Thema erreicht wird und wer nicht und ob solche Prozesse nicht auch dazu dienen, demokratische Entscheidungen durch die Beteiligung zusätzlich öffentlichkeitswirksam zu legitimieren.

Oftmals passiert es natürlich auch, dass ein Bürger:innenantrag den Finger in eine politische Wunde legt und Politik und Verwaltung zur Einlösung bereits gemachter Versprechen drängt. Das ist aus unserer Sicht oft der spannendste Teil an Bürger:innenbeteiligung, an dem Politik und Verwaltung sich messen lassen: Wird ein solch kritischer Bürger:innenantrag, zum Beispiel auf Sanierung eines beliebten Bonner Schwimmbads, einfach abgebügelt oder für erledigt erklärt, wenn die Verwaltung in ihrer Stellungnahme darlegt, dass es derzeit kein Personal dafür gibt? Oder sagt die Politik dann: „Wir nehmen den Wunsch der Bürger:innenschaft ernst und tun alles, um die versprochene Sanierung umzusetzen, folglich nehmen wir den Bürger:innenantrag entgegen dem Wunsch der Verwaltung an“?

„Wer sich aber als Bürger:in in größere städtische Anliegen einmischen möchte, also in Bebauungspläne oder städtische An- und Verkäufe, hat wenig Möglichkeiten und kaum Chancen, den Prozess über einen Bürger:innenantrag mitzusteuern.“

Dass ein Bürger:innenantrag aus ökonomischen Gründen abgelehnt wird, ist allgegenwärtig. Die kommunalen Haushalte sind angespannt und überstrapaziert. Geld wird häufig nur ausgegeben, wenn es politisch beschlossen wurde und im Haushalt veranschlagt ist. Auch deshalb haben wir in Bonn einen Bürger:innenhaushalt, der eigens für die Umsetzung von Wünschen der Bürger:innenschaft gedacht ist. Das ist ein schönes Projekt und auch durchaus zufriedenstellend für manche Bürger:innen, die sich neue Parkbänke oder öffentliche Toiletten wünschen. Wer sich aber als Bürger:in in größere städtische Anliegen einmischen möchte, also in Bebauungspläne oder städtische An- und Verkäufe, hat wenig Möglichkeiten und kaum Chancen, den Prozess über einen Bürger:innenantrag mitzusteuern. Und Beteiligungsprozesse mit der Bürger:innenschaft gibt es für gewöhnlich erst, nachdem ein Grundstück gekauft wurde und bebaut werden soll.

Ob das ein großer Kritikpunkt an der Bürger:innenbeteiligung sein muss oder nicht, ist eine spannende Debatte. Es gibt schließlich auch weitere Möglichkeiten der politischen Beteiligung. 

Zwischen bürgerschaftlich Engagierten auf der einen und Politik und Verwaltung auf der anderen Seite besteht oft ein großer Unterschied hinsichtlich Wissen und Ressourcen. Können die Instrumente und Institutionen im Rahmen der Bonner Bürger:innenbeteiligung hier einen Ausgleich schaffen?

Wir glauben, dass das eine mit dem anderen gar nicht so viel zu tun hat. Dass das Wissens- und damit Machtdefizit der Bürger:innenschaft gegenüber der Verwaltung enorm ist, steht völlig außer Frage und ist in unseren festgefahrenen Strukturen kaum überwindbar. Die Komplexität und Fülle kommunalpolitischer Bereiche und Verantwortung ist so stark gestiegen, dass selbst manche Politiker:innen darunter leiden. Wie soll da die Bürger:innenschaft durchblicken? Natürlich kann auch ein ehrenamtlicher Verein anstelle einer Einzelperson einen Antrag im »Ausschuss Bürgerbeteiligung« stellen – soll heißen: Niemand muss das allein machen. Oftmals ist es von Vorteil, sich eine kleine Lobby zu suchen, mit der man sich für seine Themen einsetzt, die einen begleitet und unterstützt und vor allem strukturelles Wissen vermittelt.

Städtische Aushandlungsprozesse können sehr konfliktreich sein. Partikularinteressen, ökonomische Interessen und das Gemeinwohl stehen häufig im Widerspruch zueinander. Beteiligungsformate übernehmen dann die Funktion von Akzeptanzmaschinen, die das Durchregieren erleichtern. Seht ihr diese Gefahr im Bonner Modell der Bürger:innenbeteiligung auch?

Im Bonner Modell soll mit allen verfügbaren Ressourcen Bürger:innenbeteiligung ermöglicht werden: strukturell und individuell. Die Stabsstelle und ihre Mitarbeiter:innen verfügen durchaus über viel Erfahrung und Motivation im Bereich Bürger:innenbeteiligung. Gleiches gilt sicherlich für Ausschuss- und Beiratsmitglieder.

Das bedeutet aber noch lange nicht, dass Beteiligungsverfahren in der Bürger:innenschaft immer gut ankommen. Ergebnisse werden manchmal nur in langen und beschwerlichen Prozessen herbeigeführt. Eine gewisse Skepsis gegenüber den Verfahren und Beteiligungsprozessen ist auch richtig, damit Bürger:innenbeteiligung nicht bloß zum Instrument politischer Mehrheiten wird, sondern die demokratische Beteiligung vieler fördert. Bürger:innenbeteiligung kann zu unvorhergesehenen Veränderungen führen und sicherlich auch politische Pläne durchkreuzen oder anfachen, wenn man sie richtig gestaltet. Und diese Macht sollte sie unserer Meinung nach auch haben: Partizipation ist das höchste Gut. Bürger:innenbeteiligung ist aber auch zeit- und arbeitsintensiv: Stellungnahmen zu Bürger:innenanträgen im ABB laufen parallel zum Arbeitsalltag und müssen fachlich absolut wasserdicht sein. Als Mitglied in einem Gremium der Bürger:innenbeteiligung muss man folglich auch stark darauf achten, dass wirkliche Beteiligung passiert, und zeitgleich darauf, dass gewisse Strukturen nicht überlastet werden und die Bürger:innenbeteiligung nicht zum reinen Verwaltungs- und Bürokratiemonster verkommt.


Interview

Das Interview führte Rainer Midlaszewski. Er ist Teil der Común-Redaktion und im Bochumer Netzwerk »Stadt für Alle« aktiv.


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Partizipationsportal »Bonn macht mit«


Titelillustration

© Rainer Midlaszewski


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