Wie sich katalanische Aktivist:innen vernetzen, um Wohnen neu zu denken
Charlotte Hann
2018 war ein glückliches Jahr für die Genossenschaftsmitglieder von »La Borda«. Nicht nur konnten sie sechs Jahre nach der Idee endlich in die 28 Wohneinheiten im Barceloner Viertel La Bordeta einziehen, ihr Projekt wurde auch mit dem Stadtpreis Barcelonas in der Kategorie Architektur und Urbanismus ausgezeichnet. Und es ist durchaus ein beeindruckendes Projekt: Auf 3000 m² steht das Gebäude aus Holz, welches in jedem Sinne gut durchdacht scheint und sich jeder Situation in der Zukunft anpassen können soll. Nachhaltigkeit, Gemeinwohlorientierung, Inklusion und Nicht-Gewinnorientierung sind die Werte, die hinter »La Borda« stehen. Doch es ist damit nicht allein, denn »La Borda« ist nur das erste von vielen Genossenschaftsprojekten in Katalonien.
Ein eigenes Genossenschaftsmodell
Während das nicht-gewinnorientierte kooperative Wohnen in einigen Ländern wie Dänemark oder Uruguay nichts Neues mehr bedeutet, ist diese Form des Zusammenlebens in Katalonien noch frisch. Das habitatge cooperatiu en cessió d’ús (katalanisch für Genossenschaftliches Wohnen in Nutzungsüberlassung), in dessen Kategorie auch der Genossenschaftsbau »La Borda« fällt, bezeichnet die in Katalonien dominante Form des genossenschaftlichen Wohnens. Es handelt sich dabei um ein gemeinnütziges Genossenschaftsmodell, bei dem das Eigentum an den Gebäuden stets in den Händen der Genossenschaft liegt und die Mitglieder ein unbefristetes Nutzungsrecht an den Wohnungen auf der Grundlage einer idealerweise günstigen Miete haben. Sie basiert auf dem dänischen Andel-Modell. Das Modell stellt eine Zwischenform zwischen Mieten und Kaufen dar. Dabei wird die Genossenschaft auf unbestimmte Zeit gegründet. Der Besitz des Grundstücks ist für die Entwicklung des Modells nicht erforderlich. Die Grundstücke werden dabei meist von der Stadtverwaltung im Erbbaurecht für einen Zeitraum von 50 bis 100 Jahren vergeben. Dafür zahlt die Kooperative einen jährlichen Betrag von 1000 Euro.
Der Hauptvorteil besteht darin, dass Spekulation ausgeschlossen wird. Die Bewohner:innen können ihre Wohneinheit beispielsweise weder verkaufen noch vermieten. Der Fokus rückt also weg vom Wohnraum als Ware und hin zum Gebrauchswert. Auf diese Weise findet die Neuerfindung des Rechts auf Wohnen neue Formeln für den Zugang und die gemeinschaftliche Verwaltung. Bewohner:innen haben dabei den Status von Genossenschaftsmitgliedern und erhalten bei Eintritt in ein Wohnprojekt ein lebenslanges Recht auf Nutzung der Immobilie. Um beizutreten, müssen bestimmte Kriterien erfüllt sein, die von Kooperative zu Kooperative unterschiedlich sind. Zudem müssen eine Mitgliedereinlage sowie monatliche Zahlungen geleistet werden. Beim Wunsch, die Kooperative zu verlassen, wird die Mitgliedereinlage erstattet und die Wohneinheit an ein neues Mitglied vergeben.
Die Grundlage: eine Politik der Solidarwirtschaft
Vor dem Hintergrund der durch die Finanzkrise 2007 ausgelöste massiven Krise im spanischen Wohnungssektor mit 112.514 Zwangsräumungen zwischen 2008 und 2012 hat sich im Jahr 2007 die sogenannte economía social i solidària in Katalonien entwickelt. Als Zusammenschluss derjenigen sozioökonomischen, formellen, informellen, individuellen oder kollektiven Initiativen, welche die Bedürfnisse der Personen über den wirtschaftlichen Gewinn stellen, bildet sie den Rahmen für die Entstehung des kooperativen Wohnens in Spanien. Sie kann gewissermaßen als ein dritter Sektor im Rahmen der Sozialwirtschaft mit einer starken Genossenschaftsbewegung verstanden werden.
Die Idee für »La Borda«, das Wohnprojekt vom Anfang, entstand bereits 2012. Den Impuls gaben Bewohner:innen des ehemaligen Industrieviertels Can Batlló. Nach einigen Jahren Arbeit zogen im Jahr 2018 schließlich die Mitglieder der Kooperative in den Holzbau im Bezirk Sants in Barcelona. Mittlerweile gibt es in Katalonien 80 Gruppen, von denen acht bereits als Kooperativen zusammenleben. Die restlichen befinden sich im Bauprozess oder in der Gruppenbildung. Die Gruppen sind durchschnittlich 20 Personen stark. Gemeinsam bilden sie ein Netzwerk, das sich gegen die Neoliberalisierung der Stadt richtet. Ihr gemeinsames Ziel: Kataloniens Wohnungssektor zu revolutionieren.
Ein Plan für das Recht auf Wohnraum
Gemeinsam konnte die katalanische Genossenschaftsbewegung bereits einige Erfolge erzielen. Darunter fallen zum Beispiel gesetzliche und regionalpolitische Maßnahmen wie die Entstehung von Dachverbänden und anderen Organisationen, die Raum für Austausch der verschiedenen Akteur:innen bieten. Mit dem Dachverband »Sectorial d’habitatge cooperatiu de la XES« (Fraktion für genossenschaftliches Wohnen des Netzwerks für Solidarwirtschaft) wurde beispielsweise ein Raum geschaffen, der aus dem Bedürfnis entstanden ist, Ziele und Visionen miteinander abzustimmen und in Form eines Dachverbandes zu organisieren sowie gemeinsame Aktionen zu planen und durchzuführen. Im Dachverband wurden auch das Genossenschaftsmodell und seine Kriterien definiert, was für mehr Klarheit innerhalb der Bewegung sorgt.
Eine der wichtigsten Errungenschaften der letzten Jahre ist die Verabschiedung des »Plan por el derecho a la vivienda de Barcelona, 2016–2025« (Plan für das Recht auf Wohnen in Barcelona, 2016–2025). gewesen, in welchem die Stadtverwaltung Barcelonas sich für einen Zeitraum von zehn Jahren zum Ziel setzt, die soziale Funktion des Wohnens zu garantieren. Ein besonderes Augenmerk darin wird auf die Förderung des kooperativen Wohnens gelegt.
Mangelware bezahlbares Bauland
Dass verschiedene Akteur:innen in sozialen Bewegungen um dieselben, meist stark begrenzten Ressourcen konkurrieren, ist kein Geheimnis. Geld spielt dabei eine große Rolle. Vor allem in Barcelona sind Grundstücke sehr teuer. Im Verhältnis zur Nachfrage wird zu wenig Grund von der Stadtverwaltung bereitgestellt oder zu vergünstigten Preisen angeboten. Doch selbst wenn das Grundstück gefunden ist, kommen meist weitere finanzielle Lasten auf die Kooperativen zu. Ein großes Problem ist dabei der Mangel an öffentlichen Geldern zur Unterstützung der Kooperativen. Im Unterschied zu Deutschland finanzieren bislang nur junge, nach ethischen Prinzipien handelnde Banken genossenschaftliche Wohnprojekte, die aber über ein begrenztes Budget verfügen. Nutzbare Grundstücke stellen dabei außerdem eine generelle Mangelware dar: Die Stadtverwaltung Barcelonas teilt den Kooperativen jährlich nur wenige zu. Dabei konnten sich diese bisher mit einem Design ihres konkreten Projektes bewerben. Einige Kooperativen ziehen deshalb auch andere Wege in Erwägung, zum Beispiel den gemeinschaftlichen Kauf.
Ein großes Problem ist dabei der Mangel an öffentlichen Geldern zur Unterstützung der Kooperativen
Problematisch an diesen Wettbewerben ist vor allem die unklare Definition von habitatge cooperatiu en cessió d’ús (genossenschaftlicher Wohnungsbau in Nutzungsüberlassung) seitens der Stadtverwaltung, denn dadurch werden den verschiedenen Initiativen die Prozesse des Grundstückerwerbs oft noch erschwert. Im Gesetz für Kooperativen von 2015 wurde diese spezifische Form der Wohnungsgenossenschaft nicht weiter ausgeführt, wodurch Ungerechtigkeiten bei der Vergabe von Grundstücken entstanden sind. Dadurch gingen in der Vergangenheit Förderungen, die eigentlich für diese Wohnungsgenossenschaften intendiert waren, an andere, gewinnorientierte Cohousing-Initiativen. Es fehlt hier also an klaren Kriterien und einer Linie bezüglich der Nomenklatur verschiedener alternativer Wohnmodelle. Damit geht ein weiteres Problem einher. Ein Vertreter einer der Organisationen für habitatge cooperatiu en cessió d’ús verrät im Gespräch: „Der Begriff habitatge cooperatiu, also das kooperative Wohnen, wird von einigen Akteur:innen als Label genutzt, um sich als gemeinwohlorientierte Initiative zu verkleiden, auch wenn die eigentlichen Projekte möglicherweise sogar gewinnorientiert sind und wenig Selbstverwaltung vorweisen.“
Schwachstelle Inklusivität?
Offen bleibt die Frage, wie inklusiv die katalanische Cohousing-Bewegung wirklich ist und nach welchen Kriterien breite Zugänglichkeit definiert werden kann. Betrachtet man die Bewegung mit einem kritischen Blick, welcher nach ökonomischer Zugänglichkeit und einer – bezüglich verschiedener sozialen Kategorien – diversen Bewegung sucht, findet man schnell eine der großen Schwachstellen: Die initiale Zahlung, um Teil eines Projekts werden zu dürfen, überschreitet – mit beispielsweise 18.500 Euro im Projekt »La Borda« – die Summe, die viele Menschen aufbringen können. Analysiert man Daten zur demographischen Zusammensetzung der Bewegung, ergibt sich schnell der Eindruck einer Tendenz zu Bewohner:innen, die nicht-migrantisch, gebildet und der Mittelklasse zugehörig sind. Diese Hürde zu überwinden und aus dem kooperativen Wohnen in Katalonien eine wirkliche Alternative für alle zu machen, wird wohl die Aufgabe der katalanischen Cohousing-Bewegung für die nächsten Jahre sein.
Autorin
Charlotte Hann ist Masterstudentin der Geografie und der Romanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Titelbild
Das genossenschaftliche Wohnprojekt »La Borda« im Barceloner Viertel La Bordeta, 2019 (Rückseite). | Foto: Velkej Led/Wikimedia