Ohne uns geht es nicht!

Das Bochumer »Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung« berichtet über seine Erfahrungen mit offiziellen Beteiligungsverfahren, das Ringen um Mitsprache und mehr institutionalisierte Partizipation.

Andrea Wirtz, Nadja Zein-Draeger und Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt

„Für Megaprojekt wird Wald gerodet“, „Aus Kleingärten wird teures Bauland“, „Aus für zwei Freibäder steht fest“, „Radverkehrskonzept wirft viele Fragen auf“ – Meldungen wie diese sind es, die Bürger:innen in Bochum immer wieder aufschrecken. Die schlechten Nachrichten erfahren sie aus der regionalen Tageszeitung »WAZ«, und zwar oft erst dann, wenn alles schon beschlossen ist. Das macht wütend und viele betroffene Bürger:innen organisieren sich in Initiativen – gegen weitere Flächenversiegelung, gegen Baumfällungen, für bessere Radwege oder den Erhalt von Schwimmbädern.

2018 führte diese Unzufriedenheit in der Stadt dazu, dass sich zahlreiche Bürger:inneninitiativen zusammenschlossen und das »Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung« gründeten, um sichtbarer zu werden und wirkungsvoller zu handeln. Unter dem Dach des Netzwerks sind zurzeit 16 Bürger:inneninitiativen organisiert. Wir setzen uns für eine ökologische, nachhaltige und gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung ein. Wir wollen mitreden und mitgestalten in unserem unmittelbaren Lebensumfeld, also dort, wo die Bürger:innen über wichtige Expertise verfügen und wo sie mit den Ergebnissen städtischer Planungsentscheidungen leben müssen. Unsere Internetplattform Stadtentwicklung.net vernetzt nicht nur die Bürger:inneninitiativen, sondern stellt im Faktencheck auch kritische Beurteilungen der laufenden städtischen Vorhaben zur Verfügung und erklärt unser Modell von Bürger:innenbeteiligung.

Protest vor der Sitzung des Bochumer Rates im März 2023: 8 Initiativen des Netzwerks wollten einen Antrag einbringen, der Beschlüsse über Bebauungspläne aussetzt, bis eine Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen ist. Die schärferen Umwelt- und Klimaauflagen sollten für alle künftigen Bauvorhaben gelten. Das Einbringen des Antrags wurde von der Verwaltung abgelehnt. Dagegen klagte das Netzwerk erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht. (Foto: © »Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung«)

Herzchen kleben?!

Wenn man die Verantwortlichen der Stadt fragen würde, würden sie sagen, dass Bochum in Sachen Bürger:innenbeteiligung ziemlich gut dastehe. Und tatsächlich gibt es eine Menge Informationstermine, zu großen Bauvorhaben auch umfangreiche Beteiligungsprozesse mit Versammlungen und Workshops. Meistens jedoch beschränkt sich das städtische Angebot auf Info-Veranstaltungen, auf denen interessierte Bürger:innen Pläne einsehen, Kommentare abgeben oder Herzchen kleben können. Doch Information ist nur die unterste Stufe von Bürger:innenbeteiligung! Seit fünf Jahren arbeitet unser Netzwerk kontinuierlich daran, die Mitsprachemöglichkeiten für die Bochumer:innen zu verbessern. Mit Aktionen, Pressearbeit, Hintergrundgesprächen mit Politik und Verwaltung und viel mühseliger Präsenz in den Gremien.

Konkret setzen wir uns dafür ein, dass Informationen über städtische Vorhaben eine Selbstverständlichkeit werden, frühzeitig, kontinuierlich und transparent – und das meint Bauvorhaben genauso wie zum Beispiel die Radwegenetzplanung oder das Bäderkonzept. Dafür braucht es aktuelle Vorhabenlisten auf der städtischen Homepage ebenso wie analoge Informationsangebote im Stadtteil. Wir wollen jedoch nicht nur Informationen, sondern auch Teilhabe. Also Feedbackmöglichkeiten, Vorschläge einbringen können und bei der Planung der Vorhaben mitreden. Und wir wollen, dass in Bochum in einem breiten öffentlichen Diskussionsprozess Leitlinien für Bürger:innenbeteiligung ausgehandelt werden, die dann vom Rat verabschiedet und in der städtischen Satzung festgeschrieben werden. Es gibt zahlreiche Städte in Deutschland, die da weiter sind und diesen Prozess schon hinter sich haben, zum Beispiel die Stadt Bonn. Das Mitreden bei Planungsprozessen darf nicht von der Größe und dem Einsatz einer Bürger:inneninitiative abhängen!

Wir verstehen unser Engagement auch als einen Beitrag gegen Frustration und Politikverdrossenheit, die sich aktuell in der steigenden Zustimmung zu rechten Parteien ausdrücken. Für uns ist echte Bürger:innenbeteiligung also eine der Antworten auf die zentrale Frage, wie Demokratie lebendig und zeitgemäß aussehen kann.

Der Stand des »Netzwerks für bürgernahe Stadtentwicklung« beim Klimastreiktag im März 2022 am Bergbaumuseum Bochum. (Foto: © »Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung«)

Anlass zur Hoffnung …

Tatsächlich ist nicht alles schlecht. Einige Beispiele zeigen: Bochums Politik und Verwaltung hat verstanden, dass ein „Weiter so“ nicht funktionieren wird. Mobilisierungsstarke Bürger:inneninitiativen aus dem Netzwerk haben es beispielsweise geschafft, zu dem großen Bauvorhaben »Wohnen Am Hillerberg« im Bochumer Stadtteil Gerthe ein sehr umfangreiches Beteiligungsverfahren durchzusetzen. Die Projektentwicklungsgesellschaft des Landes »NRW.urban« und die Bauverwaltung haben Vertreter:innen aus dem Netzwerk als „Schlüsselpersonen“ in die Konzeption und Durchführung gleichberechtigt einbezogen und damit anerkannt, dass Planung im Quartier ohne engagierte Bürger:innenschaft nicht funktionieren kann. Zusätzlich wurden Expert:innen zu einem Begleitgremium einberufen, darunter auch Mitglieder der Bürger:inneninitiativen, die kontinuierlich Empfehlungen zum Bauvorhaben abgaben. Es hat sich gezeigt: Beteiligung, miteinander diskutieren und Lösungen finden kann zu guten Ergebnissen führen. In der Planung wurden viele Grünflächen erhalten sowie Orte, die den Bürger:innen wichtig sind, und die geplanten Wohneinheiten wurden halbiert.

In anderen relevanten Themenfeldern gibt es mittlerweile ebenso Diskussionsstrukturen, die signalisieren: Auch eure Stimme zählt. Dazu gehörten im vergangenen Jahr zwei große Prozesse: der eine zum künftigen Klimaplan und der andere zur Aufstellung der Stadt als global nachhaltige Kommune. Als Netzwerk gelang es uns, mit anderen Expert:innen aus verschiedenen Bochumer Initiativen viele Grundpositionen zu verankern. Alle Beteiligten erfuhren, dass Reden hilft. Wir kennen inzwischen viele Menschen in Politik und Verwaltung, die unsere Meinung teilen und uns als Gesprächspartner:innen ernst nehmen. Das war viel Arbeit, aber es hat sich gelohnt.

… und krasse Rückschläge

Der Abschluss dieser oben beschriebenen Prozesse ist allerdings ernüchternd. Statt der Politik die konsensual erarbeiteten Ergebnisse zum Beschluss vorzulegen, „besserte“ die Verwaltung eigenmächtig nach. So sind zum Beispiel im Stadtteil Gerthe der Gedenkort für ein ehemaliges Zwangsarbeiterlager und ein Wäldchen einem mehrgeschossigen Baukomplex gewichen (O-Ton Bauverwaltung: unverhandelbar!). So ist aus einem sehr ambitionierten Maßnahmenkatalog zum klimaneutralen Umbau der Stadt ein Konzept geworden, in dem die Verwaltung lediglich allgemeine Formulierungen und sehr langfristige Ziele festlegt. So hat Beteiligung keinen Sinn. Für künftige Prozesse muss deshalb zu Beginn das klare Bekenntnis aller Beteiligten zu Transparenz und Verbindlichkeit der Ergebnisse stehen.

Druck bleibt notwendig

Das Aushandeln von Positionen innerhalb festgefahrener kommunaler Strukturen ist nur die eine Seite. Wir wären nie gefragt worden, ob wir uns beteiligen, wenn wir nicht immer wieder öffentlich Druck erzeugt hätten. Wer nicht nervt und nicht dranbleibt, der kann eben einfacher ignoriert werden. Und da ist es hilfreich und erfreulich, dass die meisten Pressemitteilungen des Netzwerks mittlerweile in den lokalen Medien Berücksichtigung finden. Unseren Stadtbaurat macht diese Entwicklung nicht gerade froh. Lange hat er versucht, uns als Querulant:innen ohne Mandat zu diskreditieren, als eine kleine Gruppe von „Profibürger:innen“, hinter denen niemand steht und die substanzlos die Verwaltung schlechtmachen würden. Je mehr die Stadt Beteiligung anbiete, desto mehr würde kritisiert. Wer den Bochumer Bürger:innen aber nicht mehr zugestehen will, als Herzchen zu kleben, hat nicht verstanden, dass echte Bürger:innenbeteiligung sehr viel mehr Mitsprache erfordert.

Viele stadtpolitisch Engagierte machen in Bochum ganz ähnliche Erfahrungen wie wir – und das sind leider mehr schlechte als gute. Das klare Statement zum Radentscheid mit 17.000 Unterschriften wurde von der rot-grünen Ratskoalition mithilfe eines zweifelhaften Gutachtens aus formalen Gründen gekippt. Das Gespräch mit den Initiativen, die sich für den Erhalt der Schwimmbäder in ihrem Stadtteil einsetzen, wird seit Jahren verweigert, obwohl ihre Petition von 10.000 Menschen unterzeichnet worden ist. Also viele Gründe, zermürbt, demotiviert und wütend zu sein.

Realpolitik braucht Utopie

Aus unserer Sicht gibt es keine Alternative zum Aktivismus vor Ort. Die Zukunft entscheidet sich in den Kommunen. Ohne die nötige Portion utopischen Überschuss, die nachvollziehbare Vision, dass das Leben in Bochum für alle sehr viel schöner sein könnte, wird sich der klimagerechte, nachhaltige und soziale Umbau der Stadt nicht realisieren lassen. Er funktioniert nur, wenn Politik und Verwaltung sich von ihrer Angst vor Machtverlust verabschieden, wenn Mitreden und Mitgestalten selbstverständlich werden und eine Kooperation auf Augenhöhe ihre produktive Kraft zivilgesellschaftlich entfalten kann. Ohne uns geht es nicht!


Autor:innen

Andrea Wirtz, Nadja Zein-Draeger und Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt sind im »Netzwerk für bürgernahe Stadtentwicklung« aktiv.


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Titelillustration

© Rainer Midlaszewski


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