Solidarity City is here to stay

Kommentar zum Stand der Bewegung

Janika Kuge

Als Wissenschaftlerin, die zu Solidarity City forscht, werde ich häufig gefragt, was Solidarity City eigentlich ist. Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, weil der Begriff so vielseitig ist: Erstens bezeichnet er eine soziale Bewegung bestehend aus lokalen Initiativen. Diese sind in vielen deutschsprachigen Städten ab 2017 entstanden, nachdem kanadische Aktivist:innen aus Toronto das Konzept vorgestellt hatten. In der kanadischen Metropole konnten 2016 Aktivist:innen beim Stadtrat ein inklusives Gesetz durchsetzen, das vor allem Menschen ohne Aufenthaltstitel schützt und Zugang zu städtischen Sozialprogrammen herstellen soll.

Solidarity City als soziale Bewegung im deutschsprachigen Raum setzt sich ebenfalls für den Schutz und das Empowerment von geflüchteten und statusprekären Menschen ein. Die einzelnen lokalen Gruppen sind in ihren Ausrichtungen aber sehr unterschiedlich. Manche Initiativen wenden sich dafür an ihre Stadtregierung, schließen breite Bündnisse und stellen eine Versorgungsinfrastruktur auf die Beine, wo die kommunalen Infrastrukturen versagen: Gesundheitsversorgung, Sprachunterricht, Hilfe bei Amtsgängen, Rechtsberatung, Hilfe bei der Versorgung mit Lebensmitteln oder Wohnraum. Andere Gruppen kämpfen (sehr erfolgreich) für ein kommunales Ausweisdokument, wie in Bern oder Zürich. Das verbindende Ziel ist die Vision einer solidarischen Stadt für alle, mit Bleiberecht für alle. Diese Bewegungen sind zum Teil untereinander vernetzt, tauschen sich über Best Practice-Beispiele aus und diskutieren gemeinsame Erfahrungen und Probleme. Im deutschsprachigen Raum gibt es aber bisher keine einzige Stadt, die sich offiziell den Titel »Solidarity City« gegeben hat.

Zweitens ist Solidarity City auch ein internationales akademisches Netzwerk. Von Torontos Urban University aus organisiert treffen darin vor allem Forscher:innen mit Beschäftigten aus der Praxis und Menschen an der Schnittstelle zum Aktivismus zusammen. Hier sind Universitäten, Stadtverwaltungen und NGOs aus vier Kontinenten vertreten: Nord- und Südamerika, Afrika und Europa waren beim Netzwerktreffen in Berlin im September 2022 als Regionale Knotenpunkte vertreten. Dieses Netzwerk operiert, indem gesammelt und analysiert wird, welche solidarischen Bewegungen und Konzepte es rund um die Welt gibt, wie sie operieren, welche Chancen und Probleme sich stellen. Durch den Austausch mit anderen Initiativen und akademischen Fachleuten wird an Strategien für die lokalen Gruppen gearbeitet, um ein Bleiberecht für alle aktiv zu unterstützen und voranzubringen. Die Idee der solidarischen Städte wird auch als Gegenmacht zu aggressiven Grenzregimen, etwa der EU oder der USA verstanden, sowie als Gegen-Wissen das durch Lehrveranstaltungen und Workshops in und außerhalb der Uni verbreitet werden soll.

International gibt es zahlreiche verwandte Bewegungen mit ähnlichen Bezeichnungen und Inhalten. Zum Beispiel gibt es in den USA die »Sanctuary Cities«, in Großbritannien die »Cities of Refuge«, in Italien die »Città d´Accoglienza«, sowie verwandte Bewegungen in Frankreich, Südafrika, Chile und weiteren Ländern. Denn drittens ist Solidarity City eine Strategie für ein Recht auch Rechte. Die Strategie basiert auf der Erkenntnis, dass Ausschluss und Illegalisierung von Menschen überall dort zu gesellschaftlichen Problemen führt, wo es prekäres Bleiberecht gibt und der Zugang zu Rechten, die mit Staatsbürgerschaft verknüpft sind, vielen verwehrt bleibt. Dem Modus der Exklusion begegnet diese Bewegung gezielt lokal mit dem Modus der Solidarität und versucht Zugänge zu Rechten zu schaffen oder zu ersetzen. Vor allem in Städten kommt die Einsicht an, dass Migration eine gesellschaftliche Normalität ist, der Rechnung getragen werden muss. Die Strategien, die daraus erwachsen, sind vielfältig und bilden von subversiver Praxis bis zur kodifizierten Verwaltungsanordnung ein breites Spektrum ab. Aber sie zeigen allesamt, dass der Wandel nicht von oben kommen wird, sondern dass er von unten entsteht und von uns vorangetrieben werden muss.

Meine Antwort auf die Frage, was Solidarity City ist, lautet daher häufig: Es ist ein Modus des internationalen und lokalen Widerstands gegen Illegalisierung und Ausschluss von Menschen und für ein allgemeines Bleiberecht.


Autorin

Janika Kuge ist Teil der Común-Redaktion und aktivistische Wissenschaftlerin, die von Freiburg aus zum Thema Sanctuary City in den USA forscht.


Titelbild

Belinda Fewings/Unsplash


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