Wenn zivilgesellschaftliche Akteure und öffentliche Verwaltung gemeinsam Stadt machen
Lisa Vollmer und Laura Calbet Elias
Die kooperative Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und öffentlichen Verwaltungen in der Stadtentwicklung ist noch recht neu und für alle Beteiligten unerprobt. Es gibt deshalb kein Patentrezept, mit dem eine solche Zusammenarbeit „gebacken“ werden kann. Diese Toolbox gibt aber ein paar Hinweise und Denkanstöße, was es dabei zu beachten gilt.
Die hier vorgestellten Ideen entstammen der Veröffentlichung „Кo-Produktion. Ein Handlungsleitfaden für die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und öffentlichen Verwaltungen”, die unter www.koopwohl.de kostenlos heruntergeladen werden kann.
1. Warum überhaupt kooperieren?
Kooperative Stadtentwicklung ist für beide Seiten anstrengend: Für die Verwaltung passt so eine Kooperation oft nicht in etablierte Strukturen und eingeübte Abläufe. Für Akteure aus sozialen Bewegungen ist es seltsam mit denjenigen zusammenzuarbeiten, die man vielleicht gerade noch öffentlich angeprangert hat. Eine Zusammenarbeit ist außerdem oft mit langwierigen und konfliktträchtigen Aushandlungsprozessen verbunden. Warum also?
Aus zivilgesellschaftlicher Sicht gibt es darauf mehrere mögliche Antworten:
- Ziele und Forderungen können so besser durchgesetzt werden.
- Selbsthilfe und Ehrenamt sind anstrengend – durch das Ergebnis der kooperativen Stadtentwicklung kann die eigene Wirkung verstetigt werden.
- Selbsthilfe und Ehrenamt können gesamtgesellschaftliche und strukturelle Probleme nicht lösen; staatliche Institutionen sollen auch in die Pflicht genommen werden.
- Neben inhaltlichen Zielen kann auch die Demokratisierung von staatlichen Strukturen und Planungsverfahren selbst ein Ziel sein.
2. Legitimation der kooperativen Stadtentwicklung
Kooperative Stadtentwicklung braucht Legitimität, und zwar auf verschiedenen Ebenen: Sowohl die Ziele der Ko-Produktion als auch die Zusammenarbeit an sich und die Ergebnisse werden daran gemessen, ob sie gesellschaftlich als legitim gelten. Auch die beteiligten Akteure müssen Legitimität genießen, nicht nur gegenüber den Kooperationspartner:innen, sondern auch in der Öffentlichkeit.
Zivilgesellschaftliche Akteure können Legitimität über verschiedene Mechanismen erlangen: durch hohe Mitgliedszahlen, Zustimmung in den Medien, öffentlichen Druck, inhaltliche Expertise und Erfahrung, Einbindung in größere Netzwerke sowie durch transparente Strukturen und von außen nachvollziehbare interne Entscheidungsprozesse.
Die Kooperation selbst kann dann als legitim gelten, wenn die Verfahren der Zusammenarbeit von außen nachvollziehbar sind, wenn die Ziele deutlich benannt sind, wenn klar ist wer daran aus welchen Gründen und in welchen Rollen beteiligt ist und es sich nicht um eine Scheinbeteiligung handelt.
03. Vor der Kooperation
Bevor man sich auf eine kooperative Stadtentwicklung einlässt, gilt es einiges zu bedenken.
- Anforderungen der Kooperation: Kooperative Stadtentwicklung ist anspruchsvoll. Als sozialer Bewegungsakteur muss man damit rechnen viel Zeit, viel Ressourcen und die Bereitschaft, sich auf die schwierige Aushandlung einzulassen, einbringen zu müssen.
- Bezahlte Stellen: Deshalb ist zu überlegen, ob bezahlte Stellen(anteile) sinnvoll sind, um Aufgaben zu meistern. Schließlich hat die Verwaltung oft mehr Personal und Mittel als soziale Bewegungsakteure. Entscheidet man sich für die Schaffung von Stellen, gibt es einiges zu bedenken: Woher kommt das Geld und wie wird es ausbezahlt (Honorare, Arbeitgeberkonstrukt)? In welchem Verhältnis stehen bezahlte Mitarbeiter:innen und Ehrenamtliche? Welche Strukturen werden in der ehrenamtlichen Gruppe gebraucht, um die bezahlten Stellen betreuen und steuern zu können? Wer übernimmt die Stellen – Leute aus der Gruppe oder lieber Externe?
- Stellvertretung oder Selbstorganisation: Die kooperative Stadtentwicklung kann auch zum Ziel haben, den Zugang von bestimmten Gruppen – beispielsweise von Personen mit wenig Geld oder rassistisch diskriminierte Gruppen – zu städtischen Infrastrukturen und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge zu verbessern. Seid ihr eine Selbstorganisation solcher ausgeschlossener Gruppen? Oder könnt ihr diese Personen organisieren und in die Kooperation bringen? Gibt es Stellvertretende, die deren Interessen repräsentieren?
- Konflikt und Kooperation: Viele soziale Bewegungsakteure sind es gewohnt, Politik und Verwaltung in einer konflikthaften Logik zu begegnen – und das meist aus gutem Grund. Eine kooperative Stadtentwicklung braucht aber eine kooperative Herangehensweise, in der das Gegenüber als Partner verstanden wird. Das heißt nicht, dass es keinen Platz für Konflikte gibt, denn auch kooperative Prozesse sind Aushandlungen.
- Handlungslogik verstehen: Um sich auf eine kooperative Logik der Zusammenarbeit einzulassen ist es wichtig, die Handlungslogik der Verwaltung zu verstehen. Verwaltungen sind meist stark aufgegliedert in Untereinheiten und Zuständigkeiten. Sie sind in erster Linie an die Erfüllung von gesetzlichen Vorgaben sowie politischen Weisungen gebunden. Die Mitarbeiter:innen sind oft hochgradig spezialisiert und manche Entscheidungen, die die kooperative Stadtentwicklung bräuchte, können vielleicht gar nicht von den Beteiligten aus der Verwaltung getroffen werden.
- Hauptamt/Ehrenamt: Zur Handlungslogik der Verwaltung gehört auch, dass hier Hauptamtliche arbeiten, während in eurer Initiative vor allem Ehrenamtliche tätig sind. Das führt zu einigen Problemen in der Zusammenarbeit, denn es gibt unterschiedliche Zeit-Ressourcen, unterschiedliche Bedürfnisse, wann man sich trifft (tagsüber/abends) und unterschiedliche Rhythmen in denen Dinge mit der jeweiligen Seite rückgekoppelt werden können.
Stellen und Konflikt: Auf einmal bezahlte Stellen zu haben führt oft zu Konflikten. Denn es entstehen Wissenshierarchien, weil manche dann mehr Zeit für die Kooperation haben als andere. Zudem führt das häufige Treffen mit Personen aus Politik und Verwaltung vielleicht zu Beißhemmungen, weil man notwendigerweise auch persönliche Beziehungen aufbaut. Es ist deshalb überlegenswert, ob man sich als Gruppe aufteilt: Ein Teil kümmert sich um die Kooperation und ein anderer Teil verbleibt in der konflikthaften Logik eines sozialen Bewegungsakteurs und macht von außen Druck auf die Kooperation.
4. Ziele der Kooperation
Kooperative Stadtentwicklungsprozesse sollten klar umrissene Ziele haben, die innerhalb eines festgelegten Zeitrahmens erreichbar sind. Am besten hält man diese in einer schriftlichen Kooperationsvereinbarung [1] fest. Neben inhaltlichen Zielen sollte sie auch die Verfahren der Zusammenarbeit klären – wie man sich trifft, wie Entscheidungen getroffen werden, wie mit Konflikten umgegangen wird und so weiter. Bevor man sich auf gemeinsame Ziele mit den Kooperationspartnern verständigt, ist es als zivilgesellschaftliche Initiative wichtig, die eigenen Ziele und roten Linien bei Kompromissen zu bestimmen.
Sowohl die eigenen als auch die gemeinsamen Ziele sollten mit einem Plan zur Zielerreichung unterlegt werden: Welche Schritte und Meilensteine sind dafür notwendig? Welche Rahmenbedingungen stehen dem Erreichen der Ziele momentan noch im Weg? Wer muss wann mit an Bord geholt werden, um das zu ändern? Da so eine kooperative Stadtentwicklung ein langwieriger und nicht selten mühsamer Weg ist, ist es wichtig Zwischenerfolge zu definieren und diese auch öffentlich zu feiern. Das schweißt nicht nur zusammen, sondern macht den Kooperationsprozess auch transparenter.
Stadtpolitische Ziele von Initiativen können – und sollten – über die unmittelbare Kooperation hinaus gehen. Die Entwicklung eines konkreten Geländes kann zum Beispiel mit politischen Zielvorstellungen verbunden sein, die die ganze Stadt oder sogar die Bundespolitik betreffen. Es ist wichtig diese Ziele nicht aus den Augen zu verlieren und zu überlegen, wie die konkrete Kooperation dafür genutzt werden kann sie zu erreichen.
Wer kann entscheiden? Kooperiert man als zivilgesellschaftliche Initiative mit der Verwaltung, kann es passieren, dass man schnell frustriert ist, weil Verwaltungsmitarbeitende auf ihre fehlende Zuständigkeit oder Entscheidungskompetenz verweisen. Deshalb ist es sinnvoll darauf zu drängen, dass zumindest an bestimmten Punkten der Kooperation auch Politiker:innen mit Entscheidungskompetenz beteiligt sind.
5. Strukturen der Zusammenarbeit
Kooperative Stadtentwicklungsprozesse sind recht unerprobt. Es gibt keine etablierten Verfahren, wie so eine Zusammenarbeit abläuft. Jede Kooperation ist speziell und bedarf eines genauen Austarierens der Strukturen der Zusammenarbeit. Über folgende Punkte sollte man sich Gedanken machen:
- Intensität und Form der Zusammenarbeit bestimmen: Wie genau soll die Zusammenarbeit gestaltet sein? Wie oft will man sich treffen und in welchen unterschiedlichen Formen/Gremien (Gesamttreffen, Arbeitsgruppen etc.)? Wer ist jeweils an welchen Treffen beteiligt? Was bedeutet das für die Kapazitäten in unserer Gruppe? Welche Form nimmt die Zusammenarbeit bzw. nehmen die unterschiedlichen Treffen an? Von formellen Sitzungen bis zu informellen Begegnungen und Telefonaten ist alles möglich, das sollte in der eigenen Strategie bedacht werden. Wichtig bei der Teilnahme an Kooperationsgremien ist auch, ganz klar zu vereinbaren, wer mit welchem Mandat hingeht: Welche eigenständige Entscheidungskompetenz haben die Vertreter:innen und wo bedarf es der Rücksprache? Sollte das Mandat rotieren? Letzteres ist einerseits vorteilhaft, weil so weniger Wissenshierarchien entstehen, andererseits geht aber auch Wissen verloren und es ist schwieriger vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen.
- Entscheidungswege festlegen: Es gilt außerdem, sich auf Entscheidungsfindungsprozesse gemeinsam zu einigen. Wie und von wem werden sie vorbereitet? Wer darf (mit welchem Mandat) diese Entscheidungen an welcher Stelle treffen? Geht das nur in offiziellen Gremien der Ko-Produktion oder auch auf Arbeitsebene zwischen einzelnen Vertreter:innen? In welchem Verfahren werden diese Entscheidungen getroffen (Konsens, Mehrheit, systematisches Konsensieren etc.)? Wie werden einmal getroffene Entscheidungen verbindlich festgehalten? Wie wird sichergestellt, dass diese in Zukunft nicht in Frage gestellt werden? Wie bleibt man trotz Konflikten entscheidungsfähig?
- Gutes Miteinander gestalten: Kooperieren heißt vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Das heißt, Treffen sollten auch eine soziale Qualität haben, der Umgang miteinander sollte wertschätzend sein, Fehler offen besprochen werden können und die unterschiedlichen Fähigkeiten von Personen bedacht und (etwa bei der Auswahl von Mandaten) berücksichtigt werden.
- Regelmäßige Reflexion einbauen: Zu vorher vereinbarten Zeitpunkten – und wann immer es nötig erscheint – sollte die Kooperation gemeinsam reflektiert werden: Werden die Ziele konsequent verfolgt und was ist schon erreicht? Funktioniert die Art der Zusammenarbeit oder muss sie angepasst werden? Es kann hilfreich sein sich hier externe Unterstützung zu holen.
- Gemeinsame Sprache finden: Wahrscheinlich entwickelt ihr in der Kooperation schnell eine besondere Sprache, in der es vor Abkürzungen und Fachbegriffen nur so wimmelt. Das ist auch ok, auch das stellt Nähe zwischen den Kooperationspartner:innen her. Denkt aber daran auch eine sprachliche Vermittlung der kooperativen Stadtentwicklung zu haben, die für Externe und Neue nachvollziehbar ist. Denn Transparenz und Öffentlichkeit sind unabdingbar für Legitimität und Erfolg.
Anmerkungen
1 Beispiele für Kooperationsvereinbarungen: Die Kooperationsvereinbarung zum Rathausblock in Kreuzberg, Berlin und die Kooperationsvereinbarung zum Gängeviertel in Hamburg.
Autorinnen
Laura Calbet ist Professorin für Theorien und Methoden der Stadtplanung an der Universität Stuttgart. Lisa Vollmer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bauhaus-Universität Weimar und aktiv in der Berliner Mietenbewegung, aktuell bei der Klima-AG von »Deutsche Wohnen & Co enteignen«.
Weiterlesen
▷ Toolbox „Kooperation mit institutionellen Akteur:innen“ in Común #5
Titelillustration
Rainer Midlaszewski (Titelgrafik des Leitfadens „Кo-Produktion. Ein Handlungsleitfaden für die Zusammenarbeit zwischen zivilgesellschaftlichen Akteuren und öffentlichen Verwaltungen”)