Vorschlag machen? Mitmachen? Selbermachen?

Einleitung zum Schwerpunkt „Beteiligung, Kooperation und Selbstorganisierung in der Stadtentwicklung“

„Bürgerinnen und Bürger sollten möglichst überall dort zu Wort kommen, wo die Stadtentwicklungsprozesse sich auf ihren Alltag auswirken. Es gilt, neue Formen der Beteiligung zu unterstützen und zu verbessern. Dazu zählen die Koproduktion sowie gemeinsame Gestaltungsprozesse in Zusammenarbeit mit den Einwohnerinnen und Einwohnern, zivilgesellschaftlichen Netzwerken, Organisationen. Durch das Erproben von neuen Formen der Beteiligung können Städte besser mit gegensätzlichen Interessen umgehen, Verantwortung teilen und neue Lösungen erarbeiten.“

So heißt es in den „Prinzipien guter Stadtentwicklungspolitik“, auf die sich die für Stadtentwicklung zuständigen Minister:innen 2020 in der „Neuen Leipzig Charta“ verständigt haben – erklärtermaßen das „Leitdokument“ der gemeinwohlorientierten Stadtentwicklung. Die Realitäten sind vielerorts weit von diesem Anspruch entfernt, mancherorts dagegen wird längst allerhand experimentiert, andernorts müssen Beteiligungsstrukturen sogar wieder erkämpft werden. Und an wieder anderen Orten nehmen die Bewohner:innen die Mitbestimmung einfach gleich selbst in die Hand. Was vielen deutschen und europäischen Städte aber gemeinsam ist: Es gibt fast überall Zivilgesellschaft, Initiativen, Stadtmacher:innen, Engagierte, die mitgestalten wollen. Und: Ohne sie geht Stadtentwicklung nicht mehr! Das ist eine der wichtigen Erkenntnisse, die die Neue Leipzig Charta abbildet. 

In unserem Schwerpunkt versammeln wir Praxis-Reflexionen dieser „Mitgestalter:innen“, die sich mitten in diesen unterschiedlichen und widersprüchlichen Realitäten bewegen, die zwischen Beteiligung, Einmischung, Kooperation, Selbstorganisierung und Ermöglichung changieren.

Anton Brokow-Loga sieht angesichts der dringend notwendigen Klimawende in den Städten die kommunale Demokratie auf dem Prüfstand. Er plädiert dafür, dass stadtpolitische Bewegungen und kommunale Klimapolitik voneinander lernen und stellt machtkritische Fragen an aktuelle Beteiligungspraxen.

Andrea Wirtz, Nadja Zein-Draeger und Wolfgang Czapracki-Mohnhaupt vom Bochumer »Netzwerk Bürgernahe Stadtentwicklung« beschreiben, wie viel öffentlicher Druck oft noch nötig ist, um als zivilgesellschaftlicher Akteur auch nur Gehör zu finden und – selbst bei kleinräumigen Anliegen – mitreden zu dürfen. Und warum es sich, trotz aller frustrierenden Erfahrungen, lohnt, kämpferisch zu bleiben.

Im Interview werden Julia Schenkel und Alexandra Leipold von der Bonner Linksfraktion kritisch zum viel gelobten Beteiligungsmodell der Stadt befragt: Werden Vorschläge aus der Stadtbevölkerung auch umgesetzt oder wirkt die Beteiligung eher als Akzeptanzmaschine? Außerdem: Wer wird da eigentlich beteiligt und wer nicht?

Gleich zwei Beiträge berichten von Erfahrungen aus Hamburg – die in ihrer Genese und Praxis wohl auch als „Hamburg“-spezifisch gelten können: Michael Joho reflektiert die Entwicklung der 50 Stadtteilbeiräte in Hamburg seit Ende der 1980er Jahre, insbesondere des Stadtteilbeirats St. Georg, der in diesem besonderen Stadtteil nicht nur – umkämpfte – Beteiligungsstruktur sondern auch ein wichtiges Gegengewicht zur Bezirkspolitik ist. Niels Boeing berichtet von den Erfahrungen mehrerer Jahre selbstorganisierter Stadtteilversammlungen in St. Pauli und plädiert für die Form der Nachbarschafts- und Stadtteilversammlung als Übungsraum für eine andere Gesellschaft.

Die ehemalige Initiative »Stadt von unten« hat als Teil des Vernetzungstreffens Rathausblock rund um die Entwicklung des »Dragonerareals« in Berlin-Kreuzberg den Spagat zwischen Aktivismus und Kooperation versucht. Ihr Beitrag reflektiert, warum es für die Initiative so nicht mehr weiterging – ohne jedoch den kooperativen Ansatz an sich für gescheitert zu erklären.

Der Blick über den bundesdeutschen Tellerrand geht, wie bereits häufiger in Común, nach Barcelona: Aya Isabel Kleine und Laura Calbet i Elias berichten über das Programm »Patrimonio Ciudadano«, mit dem Grundstücke und Flächen gemeinwohlorientiert an zivilgesellschaftliche Akteure vergeben werden.

Der Schwerpunkt bietet bewusst keine Best Practice-Sammlung für Beteiligung und Teilhabe in Stadtentwicklungsprozessen. Er wirft vielmehr Schlaglichter auf unterschiedlichste Erfahrungen, Ideen, Vorschläge und Instrumente. Was gewiss ist: Eine gemeinwohlorientierte und klimagerechte Stadt braucht Mitmacher:innen. Denn die Stadt, das sind wir alle.

Lest auch in dieser Ausgabe: Toolbox kooperative Stadtentwicklung


Titelillustration

© Rainer Midlaszewski


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