(Wie) geht’s noch?

Hausprojekte selbst organisieren unter erschwerten Bedingungen

Bettina Barthel, Jochen Schmidt, Rolf Weilert und Lina Hurlin

Es gab nie einen Masterplan zum Wachstum im Mietshäuser Syndikat. Im Gegenteil: Als sich die ersten Projekte in Freiburg zusammenschlossen, sah niemand vorher, dass der Verbund 30 Jahre später beinahe 180 Projekte umfasst. Es war aber von Anfang an das Ziel, strukturell offen zu sein, neue Gruppen zu unterstützen und zu ermöglichen, dass es mehr, dass es viele werden. Es lässt sich zumindest anhand der Größe sagen, dass dieses Ziel erreicht wurde. Es geht also auch anders und oft werden wir daher gefragt, welchen Einfluss das Syndikat auf die Politik nehmen kann bezüglich der Rahmenbedingungen für Wohnprojekte aber auch in Bezug auf wohnungspolitische Fragen. Und kann das Syndikat immer weiter wachsen? Was braucht es dafür und wo sind möglicherweise auch Risiken? Im Folgenden gehen wir diesen Fragen nach, reflektieren die Herausforderungen und formulieren mögliche Entwicklungsrichtungen.

Das Syndikat ist (politisch) sichtbar

Die Einschätzung zum konkreten Einfluss des Syndikats lässt sich nur schwer treffen, da es meistens einer von vielen stadtpolitischen Akteuren ist, die mehr oder weniger strategisch zusammenwirken. Feststellen können wir aber, dass das Syndikat sichtbar ist. Medien berichten und das Interesse von Wissenschaft und Forschung ist groß. Es hat einen Bekanntheitsgrad erreicht, der sich deutlich zeigt, wenn uns gesagt wird: „Am Mietshäuser Syndikat kommt man bei diesem Thema nicht vorbei.“ Und so werden wir auch ab und zu auf landes- und bundespolitischer Ebene gehört. Es gibt Einladungen der Linken und Grünen-Bundestagsfraktionen, zu Expert:innen-Anhörungen im baden-württembergischen Landtag, oder, selten, zu Gesprächen vom Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, wie beispielsweise im April 2022 aus Anlass des angekündigten »Bündnis für bezahlbares Wohnen«. Wir setzen uns dort eher für allgemeine wohnungspolitische Themen ein, wie das kommunale Vorkaufsrecht, und fordern Modelle der dauerhaften Sicherung oder Bindung von bezahlbarem Wohnraum. Derartige Treffen machen allerdings wenig Hoffnung auf eine grundsätzliche Verbesserung einer generell verfehlten Wohnungspolitik.

Das Syndikat hat keine Repäsentant:innen und keine:n Pressesprecher:in.

Das Syndikat wird zum Teil als politischer Akteur wahrgenommen, der es paradoxerweise eigentlich nicht ist und auch nicht sein kann: Das Syndikat hat keine Repäsentant:innen und keine:n Pressesprecher:in. Es ist ein basisdemokratischer Verband und funktioniert als solcher eher dezentral und informell. Politischer Aktivismus aus dem Syndikat heraus beruht auf Vertrauen, lokal spezifischer Do-ocracy und lokalen Bündnissen. Es gibt viel Austausch, aber keine bundesweit abgestimmten politischen Strategien, die über den politischen Grundkonsens (Wohnraum dauerhaft dem Markt zu entziehen und bezahlbar, kollektiv-selbstbestimmt und solidarisch zu gestalten) hinaus gehen. Eine Ausnahme stellten die Aktivitäten zum Kleinanlegerschutzgesetz im Jahr 2015 dar. Der Gesetzentwurf war existenzgefährdend für das Syndikat und viele andere solidarische Ökonomien bis hin zu Kitas oder Dorfläden, die sich über Nachrangdarlehen finanzieren – und so wurde hier gemeinsam agiert. Das Syndikat ist also keine politische Organisation im engeren Sinne und das beschriebene Echo auf der Bundesebene ist weniger das Ergebnis gezielter bundespolitischer Arbeit als vielmehr Resultat regionaler und kommunaler Kämpfe.

Erkämpfen von Vergaben und Förderungen

In langen und zähen Auseinandersetzungen gelingt es Syndikats-Aktiven (oft in regionalen Bündnissen) in einigen Ländern und Gemeinden immer wieder, die Berücksichtigung von Wohnprojekten in finanziellen Förderprogrammen und Vergaberichtlinien zu erwirken. In Baden-Württemberg beispielsweise gibt es auf Landesebene relativ gute Förderprogramme für den allgemeinen sozialen Wohnungsbau. Das Syndikat stellt hier Forderungen zur Verbesserung, etwa auf Verringerung der Tilgungssätze, sodass Syndikatsprojekte diese Mittel in Anspruch nehmen können. In Hamburg wurde über das Recht auf Stadt-Bündnis eine spezifische Baugemeinschaftsförderung erkämpft und nach acht Jahren erreicht, dass Syndikats-Projekte den Genossenschaften gleichgestellt werden. Bezüglich der Vergabe setzen sich Syndikats-Aktive und -Initiativen in vielen Städten (erfolgreich zum Beispiel in Leipzig) für Konzeptverfahren ein, damit Grundstücke nicht einfach an Höchstbietende vergeben werden. Die Stadt Münster reservierte nach langem Ringen vor einigen Jahren sogar Grundstücke für das Entstehen von Wohnprojekten. Wir denken, das Syndikat hatte Einfluss darauf, dass solche Verfahren wichtiger wurden und in einigen Fällen konnten Syndikats-Initiativen dadurch zum Zuge kommen.

Ambivalent ist allerdings, wenn etwa „gemeinschaftliches Wohnen“ gefördert wird und dann auch Wohneigentumsgemeinschaften (WEG) dazu gezählt werden, die Privateigentum an Wohnraum schaffen. Hier ist einerseits die Bildung von Bündnissen schwierig und gleichzeitig auch eine Sonderbehandlung für das Syndikat schwer durchzusetzen. Die Förderlinie für Baugemeinschaften in Hamburg basiert auf einer Reihe konkreter Kriterien (dauerhafte Bindung, Unterbindung der Umwandlung in Eigentum, Selbstnutzung und -verwaltung etc.) und ist hier positiv hervorzuheben. Die Grundstücksvergabe erfolgt dennoch vorrangig an WEG.

Das Syndikat kann sich Gehör verschaffen und sich in manchen Orten, zum Beispiel in Leipzig, an der Fortschreibung des wohnungspolitischen Konzeptes der Stadt beteiligen. Wenn die Stadtverwaltungen das Syndikat spannend finden und es unterstützen, dann geht vieles. Ein Gegenbeispiel ist Berlin: Weder ist die Genossenschaftsförderung hier für Syndikats-Initiativen zugänglich, noch sind die Bedingungen der Konzeptverfahren so gestrickt, dass auch selbstorganisierte nicht-profitorientierte Initiativen zum Zuge kommen könnten. Mit der Abschaffung des Vorkaufsrechtes im November letzten Jahres und der Übernahme des Senates für Stadtentwicklung und Wohnen durch die SPD nach den Wahlen 2021 sind die Hoffnungen bis auf Weiteres dahin.

Grenzen des Wachstums? – Teil 1

An dieser Stelle lohnt ein Rückblick auf allgemeinerer Ebene. Die Frage nach dem Ob und Wie eines weiteren Wachstums begleitet uns seit vielen Jahren und bleibt wahrscheinlich auch noch lange eine offene Diskussion. Wir schreiben hier also aus der begrenzten Perspektive einiger Syndikats-Aktiver.

Es werden kaum noch politische Druckmittel, wie die Aneignung durch Besetzung eingesetzt und die heruntergekommenen Mehrfamilienhäuser, die sich Gruppen, zum Beispiel in Leipzig, noch bis Anfang der 2010er Jahre durch günstigen Kauf und viel Eigenarbeit aneignen konnten, sind vielerorts selten geworden. Wir schauen mittlerweile auf Jahrzehnte steigender Immobilienpreise zurück – Preise, die schon lange nicht mehr sozial verträgliche Ertragswerte, sondern Gewinnerwartungen abbilden. Die Entstehung neuer Projekte hängt dadurch zunehmend von Förderprogrammen und Instrumenten ab, deren Zugang, wie oben beschrieben, nach und nach erstritten wurde: KfW-Mittel, Konzeptverfahren, Erbbaurecht durch Kommunen oder Stiftungen, Fördergelder für Wohnungs-Neubau. Mittlerweile ist (fast) kein Projekt mehr denkbar ohne einen Wust an staatlichen Fördergeldern und deren Bedingungen – die mitunter auch eigentlich ungewollte strukturelle Anpassungen in der rechtlich-organisatorischen Struktur der Projekte notwendig machen. Zudem bleibt oft nur noch Neubau, über den Gruppen zusammenkommen und neue Wohnkonzepte umsetzen können.

Muss das Syndikat zum Projektentwickler werden?

Die (Neubau)Projekte werden größer, teurer und rechtlich komplizierter durch die langen Prozesse, die Abhängigkeiten von Fördergeldern und eventuelle Erbbauregelungen. Es stellt sich die Frage nach realistischen Möglichkeiten der Risikoeinschätzung. Der Aufwand für die Beratenden steigt und wirft die Frage auf, ob unser (zumeist unentgeltliches) Engagement und die Arbeit, die wir leisten, ausreicht. Muss das Syndikat zum Projektentwickler werden? Demgegenüber steht die konsequente Haltung zur Selbstermächtigung und Selbstorganisation. Werden jedoch die Möglichkeiten für selbstorganisierte Gruppen, an ein Haus zu kommen, immer schwieriger und mehr fachliche und zeitliche Kapazitäten gebraucht, verstärkt das strukturelle Ausschlüsse, sowohl auf der Seite der Gruppen als auch der Beratenden. Wenn die Projekte finanziell immer stärker auf Kante genäht sind, ist auch weniger Fehlertoleranz möglich, was aber wichtig ist für Selbstorganisation.

Umfasst die grundsätzliche Offenheit des Syndikats auch Projekte, bei denen 15 Euro pro Quadratmeter als Miete herauskommt oder sollte es eine Höchstgrenze für Mieten in Syndikats-Projekten geben? Kosten der Unterkunft (nach Sozialgesetzbuch) als Limit werden diskutiert. Das wiederum würde bedeuten, dass momentan fast keine neuen Projekte entstehen könnten.

Erkämpfte Möglichkeiten und aktuelle Krisen

Wurden die Voraussetzungen in den letzten Jahren auch immer schwieriger, wird aktuell deutlich, dass es dennoch Jahre relativer Stabilität waren. Wir erleben jetzt eine Phase, die wir so nicht kennen: Hohe Bodenpreise, steigende Baukosten, Lieferprobleme, Inflation, steigende Zinsen und Energiekrise kommen zusammen. Es gibt zwar teilweise städtische Unterstützung, wie etwa in Leipzig, um die gestiegenen Baukosten für die Projekte abzufedern, die Konzeptverfahren gewannen; diese ist allerdings (mit Ausnahme von Hamburg) nicht groß genug, um die Projekte zu „retten“. Aktuell gibt es mehrere Projekte, bei denen die Banken bestehende Angebote zurückzogen oder Forderungen an finanzielle Eigenanteile und Risikoabsicherungen stellen, die unmöglich zu erfüllen sind (wie etwa in Frankfurt/Main). Die Landesbank Baden-Württemberg zum Beispiel macht entweder Zusagen und überweist dann nicht oder stellt ständig Nachforderungen. Nachdem es Syndikats-Initiativen in einigen Städten gelungen ist, kommunale Konzeptverfahren für sich zu entscheiden, haben sich die Rahmenbedingungen insgesamt so verschlechtert, dass die Grundstücke zurückgegeben werden mussten (München, Dresden, Tübingen). Aktuell wurden und werden geplante Projekte aufgegeben. Bei manchen wurde noch nicht viel Geld ausgegeben; bei einigen entstanden allerdings bereits Planungskosten in sechsstelliger Höhe.

Grenzen des Wachstums? – Teil 2

Trotz alledem ist das Interesse von Menschen und neuen Gruppen am Syndikat ungebrochen, sodass die Beratungsstrukturen eher am Rande ihrer Kapazitäten als arbeitslos sind. Daher macht es Sinn, noch eine andere Facette des Wachstums zu betrachten: die Entwicklung der internen Strukturen. Es gibt keinen Masterplan zum Wachstum, sondern die Strukturen entwickeln sich nach und nach mit dem Größerwerden mit. Mit immer mehr Menschen basisdemokratisch zu entscheiden, schränkt die Flexibilität in grundlegenden Richtungsfragen ein. Es ist wahrzunehmen, dass sich die Struktur tendenziell formalisiert und wir fragen uns, ob wir uns immer mehr in eine Organisation verwandeln, die wir im Sinne einer gemeinsamen, konsensbasierten Selbstverwaltung nicht sein wollen. Es werden verschiedene Ansätze diskutiert und wir suchen nach vergleichbaren größeren Strukturen. Eine Option wäre, weiter zu wachsen, aber mit stärkeren Kontroll- oder Regelsystemen. Die andere Option ist die Regionalisierung, bis hin zur Aufteilung. Das Syndikat müsste sich stärker dezentralisieren, um nicht zu formalistisch zu werden, um Beziehungen gegen wachsende Anonymität zu setzen und Verantwortungsübernahme zu bewirken.

Reisende Konzepte und Ableger

Die Ideen des Syndikats gab es schon vor uns. Sie kommen aus der Genossenschafts- und Besetzungsbewegung und sie entwickeln sich in alle möglichen Richtungen weiter. Das Syndikat wächst so gesehen auch ideell in Form von Ablegern, wie dem Ackersyndikat, der WEG-damit-GmbH (Syndikat für Eigentumswohnungen) oder dem Sauriassl und der Likedeelerei, die auch Häuser und Wohnungen mit aufnehmen, bei denen sich die Bewohner:innen nicht zu 100 Prozent selbst verwalten. Wir und auch andere, die sich inspirieren lassen, versuchen, die dahinterstehenden Prinzipien zu verbreiten und auch in andere Rechtskonstruktionen und Trägerschaften mit einfließen zu lassen. Der Umgang mit Grundstücken und Häusern geht auch anders. Und so besteht die Wirkung des Mietshäuser Syndikats auch darin, als praktische Alternative existent und sichtbar zu sein.


Autor:innen

Bettina Barthel, Jochen Schmidt, Rolf Weilert und Lina Hurlin sind aktiv im Mietshäuser Syndikat.


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Mietshäuser Syndikat


Titelbild

Fotomontage: Rainer Midlaszewski


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