Innenansichten der stadtpolitischen Bewegung Zagrebs nach dem Wahlsieg einer munizipalistischen Parteien-Plattform
Lisa Pontén
Im Sommer 2021 veränderte sich die lokale politische Situation in Zagreb drastisch. Die neue munizipalistische Parteien-Plattform »Možemo!« (Wir können!), die aus der Recht-auf-Stadt-Bewegung »Zagreb je NAŠ!« (Zagreb ist UNSERS! – ZJN) hervorgegangen war, übernahm die Stadtregierung und stellte den Bürgermeister. Dass es einem Zusammenschluss links-grüner sozialer Bewegungen nach 20 Jahren neoliberaler und korrupter Stadtpolitik gelungen ist, sich in der rechts-nationalistisch dominierten politischen Welt Kroatiens an die Macht zu bringen, ist erstaunlich. Doch die Versuche, innerhalb der verknöcherten Institutionen Reformen und spürbare Veränderungen hervorzubringen, stoßen auf bürokratische Hürden, illoyales Verwaltungspersonal, Korruption und Diffamierungen.
Im Rahmen eines Forschungsprojektes befragte ich im Winter 2021/22 linke Aktivist:innen innerhalb und außerhalb der Wahlplattform nach ihrer Einschätzung der Chance auf die Verwirklichung der versprochenen sozialen Reformen – jetzt, nachdem die Aufbruchsstimmung verflogen ist und da erste Erfahrungen mit der neuen Stadtregierung vorliegen.
Die Namen meiner Interviewpartner:innen sind eigentlich andere. Ich nenne sie Ana, Boris und Freja. Sie alle sind in links-grünen Initiativen Zagrebs engagiert. Ana und Boris sind seit den frühen 2000er Jahren politisch engagiert und Mitglieder bei »Zagreb je NAŠ!« und somit an der Basis der in Zagreb regierenden Partei »Možemo!« aktiv. Freja ist Hausbesetzerin und arbeitet in Projekten für LGBTQIA+-Menschen.
„Die Prozesse sind nicht transparent, nirgendwo.“ (Ana)
Als ich das 1970er-Jahre-Gebäude des Institutes betrete, in dem Ana arbeitet, muss ich kurz stehen bleiben und es bewundern. Umgeben von großen Neubauten mit Glasfassaden und den riesigen Namensschildern multinationaler Unternehmen, ist dieses kleine Betongebäude mit seinen abgerundeten Details eine willkommene Abwechslung. Ana hat eine strahlende Energie und obwohl sie von vielen Schwierigkeiten und ermüdenden Aufträgen erzählt, kommt es mir nicht so vor, als würde ihr bald die Puste ausgehen.
Wir sprechen darüber, wie es ist, in den maroden Institutionen der Stadt Zagreb zu arbeiten und dort Veränderungen zu bewirken. Die Kommunikationswege, die etablierten Abläufe sowie das Wissen der Angestellten sind nicht mit einer demokratisch bestimmten und transparenten Arbeitsweise kompatibel, meint Ana. Der vorherige Bürgermeister hat während seiner 20-jährigen Regierungszeit die Institutionen so geführt, dass das jetzige Personal der alten Macht gegenüber immer noch loyal ist. Die Rechte und Möglichkeiten der administrativen Steuerung durch die neue Stadtregierung scheinen dem Verwaltungspersonal nicht einmal bekannt zu sein. Die Verwaltung arbeitet nicht unter einer demokratischen politischen Führung, sondern agiert als verselbständigte und zentralisierte Bürokratie.
Es ist nicht ungewöhnlich, dass Entscheidungen auf Basis informeller Absprachen zwischen Einzelpersonen getroffen werden und nicht das Ergebnis einer Abstimmung in einem dafür vorgesehenen offiziellen Gremium sind. Den Vertreter:innen der neuen Regierung werden auch Informationen vorenthalten oder sie werden mit schon weit fortgeschrittenen Projekten konfrontiert, sodass oft nur wenig Zeit für eine qualifizierte Bewertung und Reaktion bleibt. Vielfach fehlt der neuen Regierung auch die Erfahrung im Umgang mit den administrativen Prozessen.
„Man hat das Gefühl, dass man sich in einem absolut feindlich gestimmten Umfeld befindet. (…) Und dass die politischen Eliten und das Establishment tatsächlich darauf warten, dass wir scheitern.“ (Ana)
Unter diesen Bedingungen ist ein sozialer Wandel, wenn überhaupt, nur mühsam und sehr langsam möglich – was in der Bevölkerung nicht besonders gut ankommt.
Boris arbeitet in einem Gebäude, das größtenteils bei dem Erdbeben, das Zagreb im Jahr 2020 erschütterte, zerstört wurde. Er hat mich vorgewarnt. Das Treppenhaus ist noch nicht renoviert. Die Treppen sind stabil, aber der Aufzugsschacht liegt in Trümmern und Türen und Fenster sind zerstört. Viele Tauben verstecken sich hier vor dem Lärm der Innenstadt. Wir befinden uns mitten im Zentrum von Zagreb. Die 2-Zimmer-Wohnung, in der er und sein Geschäftspartner ein Architekturbüro betreiben, ist aber innen renoviert und man befindet sich plötzlich in einer anderen Welt, wenn man vom Treppenhaus aus die Wohnung betritt. Hohe Decken, große Fenster und ein ruhig eingerichtetes Arbeitszimmer mit großen Mac-Computern erwecken den Eindruck, es hätte nie ein Erdbeben gegeben. Wir setzen uns und trinken Kaffee.
Boris wirkt müde und frustriert. Die Erwartungen der Stadtgesellschaft an »ZJN« seien höher als die an alle vorhergehenden politischen Akteure, sagt er. Sie stecken in einem Dilemma. Egal wie sie jetzt agieren, immer wird ihnen etwas vorgeworfen. Entweder Korruption, wenn sie eine Stelle oder einen Auftrag an jemanden vergeben, der irgendeinen Kontakt zur Bewegung hat, oder Unerfahrenheit und Unfähigkeit, wenn sie zum Beispiel Positionen unbesetzt lassen, um den Korruptionsvorwurf auszuschließen.
Boris meint, »ZJN« hätte die Wahl gewonnen, weil es eine Welle des Optimismus gegeben habe. Plötzlich schienen soziale Reformen und ein Ende der korrupten, neoliberalen Stadtpolitik Zagrebs möglich. Nun seien sie mit der unmöglich erscheinenden Aufgabe konfrontiert, das System von innen zu verändern.
„Wie soll man in so einem politischen Klima sozialen Wandel hervorbringen?“ (Boris)
Hinzu kommt, dass Privateigentum in Kroatien als heilig angesehen wird – als eine Art Kompensation für das Leid während der Zeit der »Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens«. Jeder Eingriff in bestehende Eigentumsverhältnisse wird als persönlicher Angriff wahrgenommen. Auch die Medien haben nach zunächst wohlwollender Berichterstattung der neuen Stadtregierung den Rücken gekehrt und verbreiten Hetze und Falschinformationen. Boris schüttelt den Kopf: „Wie soll man in so einem politischen Klima sozialen Wandel hervorbringen?“
Als ich mich dann außerhalb der »ZJN« bei Aktivist:innen der stadtpolitischen Bewegung umhöre, bestätigen sich die Skepsis gegenüber dem Regierungsprojekt und die Frustration, die auch von Ana und Boris beschrieben wurden.
Zuletzt spreche ich mit Freja. Wir treffen uns auf dem besetzten Gelände in Zagreb, wo sie wohnt. Bisher habe ich viel Hoffnungslosigkeit und Frustration von Menschen erfahren, die dennoch versuchen, einen Wandel der politischen Verhältnisse zu erreichen. Am Ende sitze ich dann bei Freja, die es komplett aufgegeben hat, innerhalb des Systems irgendwas zu verändern. Stattdessen möchte sie einen alternativen autonomen Freiraum erschaffen – losgelöst von politischen Strukturen.
„Ich habe einfach das Gefühl, dass es überall so viel Heuchelei gibt, besonders in dieser Stadt, wo ein Haufen privilegierter Kids denkt, dass sie plötzlich diese großen Revolutionäre sind.“ (Freja)
Die Beobachtungen in der stadtpolitischen Szene Zagrebs zeigen, wie sich die munizipalistische Stadtregierung in einem Teufelskreis bewegt. Das Abarbeiten an den Hinterlassenschaften der vorherigen Regierung, das blockierende Verhalten der Administration, Korruption und geringe finanzielle Spielräume binden so viele Ressourcen, dass die versprochenen großen sozialen Reformen nicht viel Platz auf der Agenda haben. Die erste Regierungsphase von »ZJN« wirkt eher wie eine Schadensbegrenzung und nicht wie eine positive Neugestaltung.
Außerhalb der Bewegung wird die Abwesenheit von spürbaren Reformen häufig als fehlender Wille und Unfähigkeit der Regierung wahrgenommen. Die Aufbruchsstimmung, die die Zeit vor und nach der Wahl bestimmt hat, ist verflogen und die Unterstützung durch die stadtpolitischen Basisbewegungen wird mit dem Ausbleiben von konkreten Reformen geringer.
Trotz vieler pessimistischer Eindrücke habe ich bei den meisten meiner Interviewpartner:innen dennoch eine sprudelnde Energie gespürt, eine Motivation, den Kampf fortzusetzen. Während ich im Spätsommer 2022 wieder durch die Straßen von Zagreb spaziere, sehe ich, dass der Kampf noch nicht verloren ist, sondern weitergeführt wird. Wer genauer hinschaut, merkt es auf den Straßen und an der Stimmung. Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht.
Autorin
Lisa Pontén studiert an der Bauhaus-Universität Weimar im internationalen Masterstudiengang European Urban Studies. Sie ist in Stockholm aufgewachsen, wohnt seit über 10 Jahren hauptsächlich in Berlin und forscht seit 2021 in Zagreb. Ihre Themen sind soziale Bewegungen für ein Recht auf Stadt, Wohnungsgerechtigkeit und alternative Konzepte von Eigentum. Sie ist künstlerisch und aktivistisch tätig.
Titelbild
Straßenszene in Zagreb, 2020 | Foto: Eldar Nazarov/Unsplash